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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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und das Bier war warm.
    Quinn stieß Zigarrenrauch aus und lehnte sich zurück. Der Inhalt der Akte war von keinem großen Nutzen. Sicherlich gab es ein paar Dinge, die nicht ganz zusammenpassten und darauf hindeuteten, dass ein anderer als Martin Elzner die Kugeln abgefeuert hatte, die ihn und seine Frau getötet hatten. Doch wenn Leben gewaltsam beendet wurden, blieben fast immer offene Fragen, die nie beantwortet werden würden, so als ob sie verhindern wollten, dass die Toten vergessen wurden. Wenn man lange genug Cop war, erwartete man nicht mehr, dass man irgendwann alles verstand.
    Er lehnte die Zigarre gegen die gesprungene Untertasse, die ihm als Aschenbecher diente, und nahm einen Schluck Bier. Es gab da eine Sache, die sich hartnäckig in seinem Kopf festgesetzt hatte. Die Einkäufe. Die Elzners mussten sie vor Ladenschluss gekauft und gerade weggeräumt haben, als es zu der Schießerei gekommen war. Doch in den umliegenden Supermärkten und 24-Stunden-Läden, wo sie die Lebensmittel gekauft haben könnten, erinnerte sich niemand an sie. Es konnte natürlich sein, dass sie weiter entfernt von ihrer Wohnung eingekauft hatten und nicht erkannt worden waren. Oder jemand hatte sie erkannt, aber dann wieder vergessen. Die Leute liefen nicht durch die Gegend und merkten sich alles, nur für den Fall, dass später jemand danach fragte.
    Also würden die Einkäufe wohl eine dieser offenen Fragen bleiben.
    Doch da war noch die Pistole, eine Walther P38 Halbautomatik. Das Kaliber war groß genug, um ordentlich Lärm zu machen, dennoch hatte niemand in den angrenzenden Apartments Schüsse gehört.
    Auch das war möglich, besonders wenn man den Todeszeitpunkt der Elzners bedachte. Doch es machte es umso wahrscheinlicher, dass die Kerben an der Pistole und den Kugeln von einem Schalldämpfer herrührten.
    Und das würde wiederum bedeuten, dass der Mörder ein anderer war als der dahingeschiedene Martin Elzner. Jemand, der es nicht riskieren konnte, Lärm zu machen, jemand, der wusste, dass niemand sich die Mühe machen würde, einen Schalldämpfer für einen erweiterten Suizid zu benutzen. Ein fehlender Schalldämpfer bedeutete, dass der Mörder noch frei herumlief.
    Quinn warf einen Blick auf die Uhr, die er vor langer Zeit von May zum Geburtstag bekommen hatte. Nach Mitternacht. Er beschloss, ins Bett zu gehen. Renz hatte dafür gesorgt, dass er morgen früh der Wohnung der Elzners einen Besuch abstatten konnte, deshalb wollte Quinn ausgeruht und dem Mann so ähnlich wie möglich sein, der er einmal gewesen war.
    Der ich immer noch bin!
    Er schloss die Akte, drückte seine Zigarre in der Untertasse aus und kippte das lauwarme Bier hinunter, das ihm beim Einschlafen helfen würde.
    Quinn war zufrieden mit seinen Aussichten. Er hatte nie erwartet oder danach gestrebt, groß rauszukommen.
    Es würde ihm schon reichen, wieder Fuß zu fassen.
    Im Bad putzte er sich die Zähne, dann lehnte er sich nach vorn und inspizierte sie im Spiegel. Zu gelb, und sie schienen etwas krumm, und vielleicht war das da hinten ein Loch. Ein Gang zum Zahnarzt könnte seinem Erscheinungsbild nicht schaden. Er hatte vor langer Zeit ein paar Backenzähne bei einem Kampf verloren, und inzwischen war die Brücke kaputtgegangen. Abgesehen davon hatte er immer noch seine eigenen Zähne. Er lächelte, dann schüttelte er den Kopf über den hageren, glücklosen Halunken, der ihn aus dem Spiegel anschaute. Derb. Richtig grauenhaft. Gruselig.
    Sein Lächeln erstarb, und er drehte sich weg, angeekelt von sich selbst.
    Er war tief gesunken. Das konnte er sehen, als er seinen Blick wieder hob. Verdammt tief gesunken! Ein Ausgestoßener, ein Sexualstraftäter, über den die Nachbarn hinter vorgehaltener Hand redeten und den sie mieden. Er trank zu viel und dachte zu viel nach. Er war zu viel allein. Seine Frau und seine Tochter hatten Angst vor ihm.
    Es ist so verdammt ungerecht!
    Er drehte sich wieder zum Spiegel und ballte seine Faust. Er dachte darüber nach, sein kaputtes Gesicht zu zerschmettern, es in so viele Teile zu zerbrechen, dass es seinem zerbrochenen Leben gleich wurde.
    Da war wieder sein trauriges Lächeln. Und seine eigenen traurigen Augen, die ihn anstarrten. Spiegel zertrümmerte man nur in beschissenen Kinofilmen. Plumper Symbolismus. Im wahren Leben half es nichts, noch bedeutete es irgendwas.
    Das Selbstmitleid war sein Problem. Es war wie eine Droge, die ihn so zuverlässig runterzog wie jede andere Droge, die es auf der Straße zu

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