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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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ungemachte Bett, in dem eindeutig zwei Personen geschlafen hatten. Neben dem Bett stand ein Paar pinke Frauenpantoffeln ohne Absätze, in die man direkt hineinschlüpfen konnte. Schlappen sagt man dazu, dachte er. Vielleicht aber auch nicht.
    Er nahm sich vor zu überprüfen, ob Jan Elzners Leiche Schuhe getragen hatte. Wenn nicht, legte das nahe, dass sie abrupt aus dem Schlaf gerissen worden war. Vielleicht hatte sie ein Geräusch aus der Küche gehört, das sie beunruhigt hatte, und war aufgestanden, um nachzusehen – so in Eile, dass sie nicht einmal mehr in ihre Pantoffeln geschlüpft war. Was bedeuten würde, dass sie zu dieser Zeit allein im Bett gewesen war, andernfalls hätte sie ihren Mann geweckt.
    Die Pantoffeln waren interessant.
    Schlappen?
    Quinn schaute sich noch ein wenig im Schlafzimmer um, dann widmete er sich dem Badezimmer, ohne etwas zu finden, das von Interesse war.
    Er kehrte in die Küche zurück und öffnete den Kühlschrank. Das Übliche. Ein Karton Milch, die inzwischen sauer war, ein paar angebrochene Soßen, ein Sixpack Cola light, zwei Dosen Budweiser. In der Tür befanden sich eine Flasche Orangensaft, eine ungeöffnete Flasche Chablis, ein Glas Essiggurken und zwei Plastikflaschen mit Mineralwasser, von denen eine geöffnet und halb leer war. Und noch etwas: ein Glas derselben Feinkost-Erdbeermarmelade, die auf dem Tisch stand.
    Quinn benutzte ein trockenes Küchenhandtuch, das zusammengeknüllt neben dem Spülbecken lag, um das Glas zu öffnen. Es war noch fast voll.
    Nachdem er den Deckel wieder zugeschraubt und das Glas zurückgestellt hatte, schloss er die Kühlschranktür und warf das Handtuch zurück auf die Arbeitsfläche, neben eine Glasvase mit einem kleinen Strauß vertrockneter gelber Rosen, die nicht lange nach den Elzners ihr Leben ausgehaucht hatten. Dann öffnete er das Gefrierfach, das sich über dem Kühlschrank befand.
    Drei Tiefkühlgerichte von freilaufenden Hühnern. Wie frei waren sie wirklich? Ein paar Stücke tiefgefrorenes Fleisch, eingeschlagen in Papier vom Metzger. Ein Teller Schokoladenkekse, der mit Frischhaltefolie abgedeckt war. Quinn beugte sich vor und warf einen Blick in das Eiswürfelfach. Es war voll.
    In der Wohnung war es warm, und die kalte Luft, die aus dem Gefrierfach strömte, fühlte sich gut an, doch er schloss die schmale weiße Tür und hörte sofort, wie der Motor des Kühlschranks ansprang. Ein paar bunte Magnete hafteten an der Tür – eine Freiheitsstatue, eine flatternde amerikanische Flagge –, aber es war nichts daruntergeklemmt. Keine Nachricht des Mörders .
    Quinn fand, dass er genug gesehen hatte. Er verließ die Wohnung, schloss die Tür hinter sich ab und brachte das gelbe Absperrband wieder an. Er war froh, von dem Geruch wegzukommen. Selbst in getrocknetem Zustand hatte eine solch große Menge Blut einen Übelkeit erregenden süßlichen Kupfergeruch, der die falschen Erinnerungen wieder aufleben ließ. Zu viele Tatorte, an denen Menschen gewaltsam und blutig zu Tode gekommen waren. Jahrelang hatte er sich mit dem grauenhaften Chaos beschäftigt, das Menschen aus ihrem Leben und dem Leben anderer gemacht hatten. Die Frau in Queens, die ihrem schlafenden Mann mit einer Rasierklinge die Kehle aufgeschlitzt hatte, bevor sie seinen nackten Körper verstümmelte. Der Mann, der in der Lower East Side den Liebhaber seiner Frau, drei Mitglieder ihrer Familie und schließlich sich selbst erschossen hatte. Zu viele Jahre hatte er solche Dinge gesehen. Was hatte es aus ihm gemacht, ohne dass er es selbst gemerkt hatte? Ohne dass er es hatte kommen sehen?
    Und warum fehlte es ihm so sehr?
    Warum hatte May ihn so kurz nachdem er diskreditiert worden war und seinen Lebensunterhalt verloren hatte, verlassen? Hatte sie von Anfang an Zweifel an seiner Unschuld gehabt? Oder hatte sie etwas in ihm gesehen, das jenseits seiner eigenen Wahrnehmung lag?
    Während er auf den Aufzug wartete, betrachtete er sein Spiegelbild in der polierten Stahltür. Er sah ganz annehmbar aus, befand er, frisch rasiert, mit weißem Hemd und dunkler Krawatte. Ein Ermittler der Mordkommission bei der Arbeit.
    Wenn man von der fehlenden Dienstmarke absah.
    Der Aufzug hielt mit einem dumpfen Geräusch und aneinanderschlagenden Kabeln.
    Als die glänzende Tür aufging, trat ein uniformierter Cop, von dem Quinn wusste, dass er Mercer hieß, in den Flur. Ein großer, breitschultriger Kerl mit Silberblick und rotem Gesicht. Quinn hatte ihn nur wenige Male getroffen, und

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