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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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Türen wusste.
    Marcy Graham kam vor Ron von der Arbeit nach Hause. Die U-Bahn vor so überfüllt gewesen, dass sie auf den nächsten Zug hatte warten müssen, weil im ersten kein Platz mehr gewesen war. Und als ob das nicht schon genug gewesen wäre, war auch noch ein Trampeltier, das es besonders eilig hatte, auf ihren Zeh getreten, als sie die Treppe zur Straße hochgestiegen war.
    Müde, überhitzt und gereizt setzte sie sich aufs Sofa und zog sich die Schuhe aus. Sie begutachtete ihre Knöchel, die so geschwollen waren, wie es nach einem harten Tag mit acht Zentimeter hohen Absätzen zu erwarten war. Die Zehen ihres linken Fußes, der ein wenig größer war als der rechte, fühlten sich an, als ob sie in einem Schraubstock zusammengepresst worden wären. Wer schön sein will, muss leiden, dachte sie.
    Marcy saß eine Weile da und massierte ihre schmerzenden Füße. Dann merkte sie, dass sie Durst hatte. Wahrscheinlich dehydriert nach ihrem Kampf mit den Menschenmassen und der Hitze auf ihrem Heimweg.
    Es schien zu warm in der Wohnung. Sie stand auf, ließ ihre Schuhe auf dem Boden liegen und tapste hinüber zum Thermostat. Nachdem sie die Temperatur um ein Grad hinuntergedreht hatte, hörte sie, wie die Klimaanlage ansprang. Bald würde die Wohnung ein kühles Paradies sein.
    Sie war frisch gestrichen und mit komfortablen Möbeln ausgestattet. Den Vorschuss, den Ron auf seine neue Position in der Firma bekommen hatte, hatten sie gut investiert, wenn auch vielleicht ein bisschen zu hastig. Sie hatten die Wohnung streichen lassen, neue Kleider gekauft, die sie dringend benötigt hatten, und alte Schulden beglichen, und jetzt war ihr Kontostand fast im Minus.
    Marcy schluckte trocken, und ihr fiel wieder ein, dass sie durstig war.
    Während sie zur Küche ging, fühlte sie den kalten Hauch der Deckenlüftung über ihren Kopf streichen. Sie war sich ziemlich sicher, dass im Kühlschrank ein paar Dosen Cola light standen.
    Und richtig, ganz unten stand ein Sixpack, dessen Dosen immer noch von Plastik zusammengehalten wurden.
    Während sie eine der kalten Dosen aus der Halterung löste und sich aufrichtete, um die Kühlschranktür zu schließen, fiel ihr Blick auf ein Stück Nostrum-Gouda, den sie am liebsten zu Crackern aß. Es war noch eingeschweißt, aber sie war sich sicher, dass sie Käse gegessen hatte, seit sie das letzte Mal bei D’Agostino eingekauft hatte. Sie zog die Kunstoffschublade auf, in der sie Wurst und Käse aufbewahrten, und sah eine halbe Packung Käse neben einer Plastikdose übriggebliebener Fleischklößchen liegen. Sie zuckte die Schultern. Offensichtlich hatte sie zwei Stück Käse gekauft, als sie das letzte Mal eingekauft hatte. Das war nicht so schlimm. Konnte Käse überhaupt schlecht werden? War es vielleicht sogar das einzige Lebensmittel auf der Welt, das niemals schlecht wurde?
    Während sie ins Schlafzimmer ging, schlürfte sie Cola aus der Dose. Auf dem Weg bückte sie sich geschickt, um ihre Schuhe aufzuheben. Es würde sich gut anfühlen, die Strumpfhose loszuwerden und sie gegen eine luftige Hose und eine ärmellose Bluse einzutauschen. Sie zog den grauen Rock und den Blazer aus und setzte sich dann auf das Bett, um sich aus der Strumpfhose zu schälen. Nachdem sie den Rock und den Blazer auf einen Bügel gehängt hatte, zog sie ihre Bluse aus und warf sie in einen geflochtenen, weißen Wäschekorb. In einer geübten Bewegung, die fast schon anmutig wirkte, führte sie ihre Arme hinter den Rücken, öffnete ihren BH und zog in aus. Der BH und der Slip folgten der Bluse in den Wäschekorb. Nackt ging sie zur Kommode, um einen frischen Slip zu holen.
    Als sie die Schublade mit ihrer Unterwäsche aufzog, entdeckte sie eine kleine, geblümte Pralinenschachtel. Sie lag auf dem Stapel mit ihren zusammengefalteten Slips. Keine Notiz. Keine Karte. Keine Erklärung.
    Sie nahm die Schachtel und untersuchte sie genauer. Das Plastiksigel war noch unversehrt, und es handelte sich um eine teure Marke.
    Ein Geschenk von Ron?
    Nicht sehr wahrscheinlich. Sie dachte an den Streit wegen der Jacke.
    Und trotzdem: Die Pralinen mussten von Ron sein. Wer sonst hatte Zugang zur Wohnung, zu ihrer Kommode? Und auch die Jacke musste von Ron gewesen sein. Außer sie glaubte an die verrückte Idee, dass Ira, der Verkäufer aus der Boutique, sich auf krankhafte Weise in sie verliebt hatte und irgendwie in die Wohnung gelangt war. Aber um ehrlich zu sein konnte Ira unmöglich wissen, wo sie wohnte.
    Ron. Es

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