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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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sagen, dass er fertig sei und sich auf den Weg zu seinem nächsten Auftrag mache.
    Nachdem sie ein rosafarbenes Formular auf einem Clipboard unterschrieben hatte, verabschiedete er sich und ging.
    Als sie alleine in der Wohnung war, überkam sie plötzlich Angst. Es war eine Sache, wenn ein anonymer Wohltäter ihr Geschenke hinterließ, aber warum sollte er den Kühlschrank manipulieren? War es das , was geschehen war?
    Würde Ron so etwas tun? Hätte er überhaupt die Gelegenheit dazu gehabt?
    Unerwartete Geschenke waren eine Sache. Sie waren exzentrisch, ein wenig sonderbar sogar, aber schmeichelhaft und kein bisschen unheimlich. Obwohl sie natürlich Fragen aufwarfen. Sie starrte auf den großen weißen Kühlschrank, der vor sich hin brummte. Das hier war etwas anderes. Das war gruselig.
    Sie ging zur Spüle und öffnete die linke Tür des Unterschranks. Sie steckte ihre Hand in den aufgeklappten Plastikmülleimer und tastete unter das locker zusammengefaltete Küchenkrepp, das obenauf lag. Dann schob sie ihre Hand etwas tiefer in den Mülleimer.
    Nichts. Zumindest nicht das, was sie, ihrer bösen Vorahnung zum Trotz, erwartet hatte.
    Sie zog den Mülleimer heraus, um sicher zu gehen.
    Die Pralinenschachtel, die sie letzte Nacht weggeworfen hatte, war verschwunden.
    Pearl saß in ihrer Küche und trank Wasser aus einer Flasche. Sie hatte gerade ein spätes Abendessen zu sich genommen, bestehend aus einem Pizzarest, der in der Mikrowelle aufgewärmt und jeglicher Form und Struktur beraubt worden war. Er hatte ausgesehen wie ein essbares Dalí-Gemälde – so surreal wie ihre Welt.
    Sie konnte spüren, dass Probleme in Anmarsch waren, ein sanfter, hypnotisierender Sog, der sie verführen und in einen Malstrom hineinziehen könnte, wenn sie es zuließ. Wenn sie darauf hereinfiel.
    Wie sie es manchmal tat.
    Sie dachte zu oft über Quinn nach. Anfangs war er ihr viel zu alt für eine Affäre erschienen. Sie gehörte nicht zu jenen hilflosen, hoffnungslosen Frauen, die nach einem Ersatzvater suchten.
    Aber in Wirklichkeit war er gar nicht so alt. Außerdem hatte sie bald Geburtstag.
    Es war sein verwittertes Gesicht, das ihn älter erscheinen ließ, als ob er ein hartes Leben in der Natur geführt hätte und die Sonne sein Gesicht gegerbt und tiefe Furchen hineingegraben hätte. Ein schwieriges Leben, besonders in jüngster Vergangenheit, hart gebeutelt von inneren und äußeren Stürmen. Mit einem Gesicht, das von Charakter und Zähigkeit zeugte, auch wenn seine männliche Schönheit mit den Jahren und Schicksalsschlägen verblasst war. Sie konnte ihn sich gut vorstellen, wie er schief im Sattel eines müden Pferdes saß und über die windgepeitschte Prärie blickte. Auf einem großen, weißen Pferd, versteht sich, da er der Held ihrer Träume war.
    Der Mistkerl gehört in eine Zigarettenwerbung, nicht zum NYPD .
    Sie trank ihr Wasser leer und lächelte über ihren eigenen Leichtsinn. Sie sollte aufhören, sich wie ihr eigener schlimmster Feind zu benehmen. Manchmal war sie wie ein Kind, das nicht anders konnte, als die Hand auszustrecken und sie in die Flamme zu halten.
    Sie lehnte sich zurück und blickte auf die fleckige, rissige Küchenwand, die irgendwann einmal in einem komischen Gelbton gestrichen worden war. Sie wusste, was sie jetzt tun sollte. Sie sollte streichen. Alles, was sie benötigte, um die Wohnung heller zu machen – Pinsel, Rollen, Spachtel, Abdeckfolie, Kreppband, zwanzig Liter weiße Farbe –, wartete im Wandschrank im Flur. Und sie hatte den Segen des Vermieters. Das Gute an einem Dreckloch wie diesem war, dass sie so gut wie alles damit machen konnte, außer es in Brand zu setzen. Ja, sie sollte streichen.
    Pearl wusste, dass sie die nächsten paar Stunden damit zubringen konnte, zumindest einen Anfang zu machen, vielleicht würde sie ein paar der Wände fertigkriegen, und dann immer noch genug Zeit hätte zum Schlafen, bevor sie Quinn und Fedderman am nächsten Morgen traf.
    Sie wusste aber auch, dass sie nicht streichen würde. Der Elzner-Fall war ihre Entschuldigung.
    Ihr ging nicht mehr aus dem Kopf, dass Quinn gesagt hatte, die Elzners seien vielleicht nicht die ersten, sondern einfach nur die jüngsten Opfer eines Serienmörders, der es auf Paare abgesehen hatte. Pearl dachte, dass Quinn keine ausreichenden Beweise hatte, um eine solche Aussage zu treffen. Andererseits handelte es sich hier nicht um einen normalen Mann oder einen normalen Cop. In seiner langen Karriere hatte er oft recht

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