Opferschrei
traf sie unerwartet hart und lastete schwer auf ihrem Herzen.
Sie bekreuzigte sich unbewusst und war überrascht von der automatischen Geste. Wie merkwürdig, dachte sie. In der Religion hatte sie keinerlei Trost gefunden. Die Musik war ihr Trost. Ihre Musik, die möglicherweise nicht gut genug war. Sie sehnte sich danach, auf ihrer Bratsche zu spielen.
Ihre Mutter hörte auf zu schluchzen. »Alles in Ordnung, Anna?«
»Nein«, antwortete Anna.
Als Marcy Graham an diesem Morgen fettarme Milch in Rons Kaffee goss, stellte sie fest, dass sie dünner war als sonst und kaum gekühlt.
Sie öffnete die Tür des Kühlschranks und legte eine Hand auf Flaschen und die Böden der Fächer, so als ob sie überprüfen wollte, ob sie Fieber hatten. Sie waren nicht so kalt, wie sie es sein sollten. Als sie einen Blick in das Eiswürfelfach warf, sah sie, dass die Würfel zu einem großen Klumpen zusammengeschmolzen waren. Sie zog den weißen Plastikbehälter heraus, nachdem sie ihn mit einem Küchenmesser losgelöst hatte, und kippte das Eis in den Ausguss.
»Ist der Kühlschrank am Arsch?«
»Sieht so aus. Ich rufe den Kundendienst an.«
»Das sollte kein Problem sein. Ist immer noch Garantie drauf. Lass dir bloß nichts anderes erzählen.«
»Werd ich nicht, keine Sorge.«
»Glaubst du, man kann die Kaffeesahne noch nehmen?«
»Würde ich nicht«, sagte Marcy. Sie hielt inne und betrachtete den Kühlschrank, der noch nicht mal ein Jahr alt war. Dann öffnete sie die Tür und merkte sich die Telefonnummer, die am Innenrand klebte, bevor sie zum Telefon ging.
Und so kam es, dass sie heute früher von der Arbeit heimgekommen war und nun mit dem Mann vom Kundenservice in der Küche stand.
Er hieß Jerry, wie das Namensschild über seiner Jackentasche besagte – ein etwas schmuddeliger Kerl in einer grauen Uniform. Aber er war jung und sah einigermaßen gut aus, und sein Hemd hatte er in die Hose gesteckt. Ein Muster aus dunklen Leberflecken verunstaltete seine linke Wange direkt unter dem Auge, und er musste sich dringend rasieren, aber er gab immer noch ein ganz passables Bild ab. Nicht gerade das, was Marcy erwartet hatte.
Sie hoffte, dass er nicht zu jung war, um zu wissen, was er tat. Er hatte den Kühlschrank von der Wand weggerückt und die letzte halbe Stunde damit verbracht, an seiner Rückseite herumzufummeln. Eine schwarze Abdeckung, die mit weichem, blauem Dämmmaterial überzogen war, lehnte an der Spüle, und jedes Mal, wenn Marcy in die Küche kam um zu sehen, wie Jerry vorankam, sah sie nur seine Waden, seine braunen Arbeitsschuhe, die hoffentlich keine Macken auf den Fliesen hinterlassen würden, und ein Sortiment an Werkzeug auf dem Boden liegen.
Nur eine Stunde, bevor Ron nach Hause kommen würde, schob sich Jerry endlich hinter dem Kühlschrank hervor und nahm die gedämmte Abdeckung. Er brauchte nur wenige Minuten, um sie wieder anzubringen.
Er stand auf, ging um den Kühlschrank herum und öffnete seine Tür, um am Thermostat zu drehen. Sofort fing der Motor an zu brummen. Er steckte eine Hand zwischen einen Milchkarton und eine Flasche Orangensaft, dann drehte er sich zu Marcy und lächelte. »So gut wie neu.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Marcy.
»Warum? Wollen Sie wetten, dass er wieder aufhört zu kühlen?«
Marcy lächelte. »Nein. Ich wollte Ihre Arbeit nicht in Frage stellen.«
»Das war ziemlich einfach«, meinte Jerry. »Es gibt einen Riemen, der am Motor angebracht ist und einen Ventilatorflügel antreibt, sodass ein Gebläse kalte Luft umwälzt und die Temperatur im Kühlschrank ausgleicht. Diese Riemen halten normalerweise fünf Jahre.«
»So ein Pech«, sagte Marcy.
»Oh, dieser Riemen ist nicht kaputtgegangen, da bin ich mir sicher.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wenn er kaputtgegangen wäre, dann wäre er irgendwo da hinten rumgelegen. Aber er fehlt.«
»Unter dem Kühlschrank vielleicht?«
»Nee, ich habe überall danach gesucht.«
Er fehlt? Marcy runzelte die Stirn. »Wie kann es sein, dass er nicht irgendwo in der Küche ist?«
Der Mann vom Kundendienst lächelte und zuckte die Achseln, dann bückte er sich und fing an, Schraubenschlüssel, Schraubendreher und andere Dinge, die Marcy nicht benennen konnte, zurück in den metallenen Werkzeugkoffer zu werfen. »Ist nicht meine Aufgabe, das rauszufinden. Ich reparier sie nur. Was dagegen, wenn ich Ihr Telefon benutze?«
Marcy sagte ihm, dass es kein Problem sei, und hörte zu, wie er mit seinem Büro telefonierte, um zu
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