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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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wenn man es so machte, wie Tom Wilde es tat.
    Sie arbeiteten an einem alten Haus auf der anderen Seite der Stadt, ein dreistöckiges viktorianisches Haus, das dem der Sands ähnelte und von Grund auf renoviert wurde. Es war ideal, um Luther etwas beizubringen.
    Während der nächsten Tage zeigte Wilde Luther, wie man mit einer Schablone Bordüren um einen Raum herum anbrachte, wie man Farbe abtönte und die abgeschrägten Kanten von Türverkleidungen schattierte, sodass die Türen zurückversetzt und dadurch dicker wirkten, wie man den Mischer und die Farbskala benutzte, um genau den Farbton zu bekommen, den man brauchte. Luther strengte sich an und machte nicht allzu viele Fehler. Die Fehler, die er machte, schienen Tom Wilde nicht zu verärgern. Stattdessen half er ihm, sie zu korrigieren. Wilde arbeitete stetig, aber nicht schnell; ihm war das Ergebnis wichtiger als das Geld, das er für seine Arbeit bekam.
    Ehe Luther es sich versah, war die Woche vorüber.
    Die Tage flogen dahin, und am Abend genoss er es, Cara Sand dabei zuzusehen, wenn sie abstaubte, staubsaugte oder das Abendessen für Milford zubereitete, der immer erst spät von der Mine heimkam. Cara hatte wunderschöne dunkle Augen, und Luther konnte nicht anders als auf die Rundungen ihrer Hüften unter ihrer Schürze und ihre anmutig geschwungenen Knöchel zu starren. Irgendetwas an ihrer Haut, ihre Weichheit, weckte in ihm das Verlangen, sie zu berühren. Er war sich sicher, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, wie er über sie dachte, und er wollte auch nicht, dass sie es erriet. Manchmal musste er dagegen ankämpfen, in ihrer Gegenwart eine Erektion zu bekommen, die sie vielleicht sehen könnte, wenn er aus irgendeinem Grund plötzlich aufstehen musste. Es war nicht nur Caras Aussehen, ihr üppiger Körper, ihre vollkommenen Augen und Lippen; es waren ihr Lächeln und die Art, wie sie den Leuten zuhörte, wenn sie sprachen – wirklich zuhörte.
    Am meisten liebte es Luther, Cara dabei zuzusehen, wie sie in der Küche arbeitete, die Art, wie sie am Spülbecken stand – dagegen gelehnt, die Kante in ihren Bauch gedrückt, wodurch ihre runden Brüste noch größer wirkten –, während sie Kartoffeln schälte oder den Abwasch erledigte. Er studierte, wie sich ihre Kleider um ihren Körper schmiegten und ihre Wadenmuskeln ihre Beine formten, wenn sie sich streckte, um etwas von hoch oben aus den Schränken zu nehmen.
    Einmal ertappte sie Luther dabei, wie er sie anstarrte, als sie sich bückte, um etwas aus dem hinteren Teil des Kühlschranks zu holen, aber sie tat, als habe sie es nicht gesehen. Doch er wusste, dass sie es bemerkt hatte, und sie wusste, dass er es wusste – ein besonderes, unausgesprochenes Geheimnis zwischen den beiden. Es waren die Dinge, die nicht gesagt wurden, die Nähe zwischen zwei Menschen schufen.
    Irgendwie schaffte es Cara, immer sofort zu wissen, wenn Luther hungrig war. Dann machte sie ihm einen Snack. Einmal backte sie ihm sogar einen Pfirsichkuchen, nachdem er erwähnt hatte, dass es sein Lieblingskuchen war. Ihre Stimme wurde zur Musik für ihn. »Mein großer Junge«, pflegte sie zu sagen, wenn sie das Essen vor ihn hinstelle, mit einem Lächeln, das sein Herz aufgehen ließ.
    Luther fing an, fast jede Nacht von Cara zu träumen. Eines Morgens entdeckte er, dass er im Schlaf einen Orgasmus gehabt hatte.
    Aber seine Träume waren nicht nur fleischlicher Natur; in seinen Augen war Cara eine Lady. Er zog nie ernsthaft in Betracht, sie zu berühren oder ihr seine Gefühle zu offenbaren. Scheiß nicht in dein eigenes Nest! Das war etwas, was er schon früh in seinem Leben auf der Straße gelernt hatte. Aber Milford, fand Luther, war verrückt, so viel Zeit mit seiner Arbeit zu verbringen.
    Am Samstag, nachdem er seinen ersten Gehaltsscheck bekommen hatte, ging Luther zum Drugstore und kaufte sich einen Rasierer und Rasierschaum, was er beides kaum brauchte, und ein Stück Seife, das besser war als das billige Zeug, das Milford ihm gegeben hatte und ihm überall Juckreiz bescherte.
    Im Drugstore hörte er zum ersten Mal, wie die Leute über ihn redeten, und die Gerüchte über Tom Wilde.

20
    New York, 2004.
    Es war später Abend, als May bei Quinn anrief.
    »Frank?«
    Obwohl er im Bett lag und schon halb geschlafen hatte, erkannte er sofort ihre Stimme. Außerdem war sie die Einzige, die ihn beim Vornamen nannte.
    Er setzte sich auf, sein dickes Daunenkissen im Rücken, und presste den Hörer fester an sein Ohr.

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