Opferschrei
und drehte sich um. Er war zwischen dreißig und vierzig und hatte ein freundliches, gut aussehendes Gesicht, mit Augen, die zu einem permanenten Lächeln zusammengekniffen waren. Er hatte dichtes braunes Haar und eine etwas zu groß geratene Knollennase, die von roten Äderchen durchzogen war. Es war ein Gesicht, das man sofort sympathisch fand – zumindest weckte es Vertrauen. Luther sah jetzt, dass Wildes weißer Overall über und über mit bunten Farbspritzern bedeckt war.
Der Mann fasste nach unten und schaltete den wie wild ratternden Mischer aus. In der darauffolgenden Stille blickte er Luther an und schenkte ihm ein breites Lächeln. »Ist das der Junge?«
»Das ist er«, antwortete Milford und stellte sie einander vor.
»Ich habe gehört, du hast Erfahrung als Anstreicher«, meinte Wilde. Er hatte eine weiche, deutliche Aussprache, fast wie ein Lehrer.
»Ein wenig«, antwortete Luther. »Ich hab schon Zäune und ein paar Häuser gestrichen.«
»Das sollte reichen. Ich zahle alle zwei Wochen, den Mindestlohn. Mehr kann ich mir nicht leisten.«
»Das ist in Ordnung.«
Eine Weile schwiegen alle drei, dann sagte Milford: »Ich lass euch beide jetzt allein, dann könnt ihr miteinander fachsimpeln und euch besser kennenlernen.« Er blickte Wilde an. »Es kann sein, dass es heute spät wird in der Mine. Können Sie Luther nach Hause fahren, wenn Sie mit ihm fertig sind?«
»Kein Problem.«
Luther und Wilde sahen zu, wie Milford zurück zu seinem Ford ging. Er drehte sich um und winkte ihnen zu, während er sich hinters Steuer setzte. Dann raste er so schnell davon, dass das breite Hinterteil seines Autos kurz ins Schleudern geriet.
»Er scheint seine Arbeit wirklich zu mögen«, meinte Luther.
Wilde lachte. »Er ist ein Workaholic. Und lass dich nicht von seinem zerbrechlichen Erscheinungsbild täuschen. Er war einige Zeit als Ranger bei der Army, und dann hat er hart in der Mine gearbeitet, während seiner Ausbildung als Buchhalter. Leg dich bloß nie mit ihm an, Luther.« Dann schaltete der den Mischer wieder an und deutete mit dem Kinn zur Tür. Sie gingen nach draußen, wo es nicht so laut war und sie sich unterhalten konnten.
»Haben wir heute einen Auftrag?«, fragte Luther. Er versuchte immer noch, sich Milford Sand als einen knallharten Burschen vorzustellen. Es schien ihm immerhin möglich.
»Sicher. Kannst du gute Kanten machen?«
»Gute Kanten?«
»Die Kanten mit einem Pinsel exakt nachziehen.«
»Hab ich schon mal gemacht«, meinte Luther. Hatte er tatsächlich, aber nur selten. Die meiste Zeit hatte er für Norbert Material geschleppt, gespachtelt und geschliffen oder Farbe auf große Flächen gewalzt. Er hatte die Knochenarbeit erledigen müssen. Zum Beispiel an heißen Tagen an Stellen streichen, wo es möglicherweise Wespen oder Hornissen gab, wie etwa unter den Regenrinnen von Scheunen oder Farmhäusern.
Wilde schaute ihn auf eine Weise an, die Luther das Gefühl gab, gemessen zu werden. »Was du wissen musst, Luther, ist, dass ich kein normaler Anstreicher bin. Es gibt gewisse Tricks bei meinem Handwerk. Ich bin in der Lage, Farben perfekt aufeinander abzustimmen, den Leuten zu sagen, welche Farbschemen passen, Töne und Farben so übereinander aufzutragen, dass sie die Dinge in ihrem besten Licht erscheinen lassen. Ich kann Räume größer oder kleiner wirken lassen, Licht und Schatten schaffen, wo keins der beiden existiert. Verstehst du, was ich sage?«
Luther nickte. »Sie sind eine Art Künstler.«
Wilde grinste. »Manchmal, Luther … manchmal. Was ich die ganze Zeit über bin, ist ein Handwerker. Das ist der Grund, aus dem mich die Leute beauftragen. Und ich möchte, dass du darauf hinarbeitest – ein Handwerker zu werden. Wenn du das Talent, das Gott dir geschenkt hat, nutzt, anstatt es zu missbrauchen, wird sich alles weisen. Glaubst du mir das?«
»Vielleicht.«
»Eine ehrliche Antwort.« Wilde ging nach drinnen und schaltete den Mischer ab, dann kam er wieder nach draußen in die Sonne. »Hast du Interesse daran, ein Handwerker zu werden?«
»Ich denke schon«, antwortete Luther ehrlich.
»Ich auch«, sagte Wilde und klopfte ihm auf die Schulter. Nicht Wir werden sehen . Er war auf Luthers Seite. »Hilf mir, die Sachen in den Lieferwagen zu laden, und dann werden wir unsere Pinsel schwingen und diesen Teil der Welt ein wenig verschönern.«
Überraschenderweise verging der Tag für Luther wie im Flug. Er merkte, dass ihn das Malern tatsächlich interessierte,
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