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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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Nur ganz am Rande nahm sie die Abdrücke auf der Fensterscheibe wahr, die aussahen, als habe sich jemand dagegen gelehnt, um nach unten zu blicken.
    Sie ging zurück in die Küche und berührte die eingeschweißten Steaks vorsichtig mit ihren Fingerknöcheln.
    Sie waren kalt.
    Können noch nicht lange hier liegen.
    Mary setzte sich an den Tisch und starrte auf die teuren Fleischstücke, die sie – da war sie sich sicher – noch nie zuvor gesehen hatte.
    War das hier wieder eins von Donalds Spielchen?
    Sie wusste, er würde es leugnen.
    Das ist merkwürdig. Das ist verdammt merkwürdig.
    Sie erinnerte sich daran, wie sie aus dem Aufzug in den Flur getreten war, an das Geräusch der anderen Aufzugtür, die sich gerade schloss, was sie gefühlt hatte, wie sich ihre Nackenhaare aufgestellt hatten. Sie hatte sich nicht viel dabei gedacht. Und vielleicht sollte sie auch jetzt nicht darüber nachdenken.
    Nichts … es bedeutet nichts … Alles nur Einbildung … Ich fürchte mich nicht …
    Doch vielleicht sollte sie das!
    Mary legte die Steaks ins Fleischfach des Kühlschranks und verließ auf der Stelle die Wohnung. In der Lobby merkte sie, dass sie den Regenschirm vergessen hatte, aber sie entschied sich, nicht zurückzugehen, um ihn zu holen.
    Sie würde sich die Zeit um die Ecke bei Starbucks vertreiben, einen Mokka trinken, während sie die Morgenzeitungen durchblätterte, und erst in die Wohnung zurückkehren, wenn sie sicher sein konnte, das Donald daheim war.
    Sie mussten definitiv miteinander reden.
    Der Night Prowler hatte im Aufzug im zwölften Stock gestanden und auf sie gewartet, seinen Finger auf dem Knopf, der die Tür offen hielt, damit der Aufzug dort blieb, wo er war.
    Als er hörte, wie der andere Aufzug anhielt, ließ er los und drückte den Knopf für die Lobby. Die Tür schloss sich im selben Moment, wie sich der andere Aufzug öffnete. Für den Bruchteil einer Sekunde erhaschte er sogar einen Blick auf den Saum ihres grauen Kleids, als sie in den Flur trat.
    Nachdem der Aufzug sich in Bewegung gesetzt hatte, lehnte er sich gegen die Wand und atmete tief ein. Für einen Augenblick war sie ihm so nahe gewesen. Ihr Duft! Nicht der Duft ihres Parfums, sondern ihr Duft!
    Der Duft ihrer Haut, ihrer Farbe und Bewegung, ihres Lächelns und ihres Blicks!
    Sie weiß es!
    Sie hat es vielleicht noch nicht erkannt, aber sie weiß es. Auf irgendeine Weise, auf irgendeiner dunklen Ebene ihres Bewusstseins, in dem archaischen Teil ihres Gehirns muss sie um die Pläne wissen, die das Schicksal für uns bereithält, um die Unausweichlichkeit und Wucht des Verlangens, muss wissen, wie nah wir einander sind, vereint, verschmolzen, miteinander verbunden, beinahe eins.
    Die Ursünde. Der Urverrat.
    Beinahe eins …
    Sie weiß es!

27
    O Gott, das ist schrecklich!
    Pearl hatte einen ekelhaften Geschmack im Mund, und ihre Zähne fühlten sich an, als würde Moos auf ihnen wachsen. Sie war auf dem Sofa eingeschlafen, während sie den Nachrichtensender geschaut hatte, und die missliche Lage, in der sich fast alles befand, schien auch von ihrem Verstand Besitz ergriffen zu haben. Sie konnte sich nicht mehr richtig an ihre Träume erinnern, doch sie hatten sie in eine düstere Stimmung versetzt.
    Sie hatte allein in ihrer Wohnung zu Abend gegessen – ein kleines Steak, Pommes, Krautsalat – und ein Glas billigen Rotwein dazu getrunken. Befriedigend. Nachdem sie das Geschirr abgespült hatte, hatte sie eine alte Jeans und ein verschlissenes T-Shirt angezogen und im Wohnzimmer gestrichen, bis sie müde geworden war. Dann hatte sie oberflächlich aufgeräumt und beschlossen, vor dem Fernseher eine Limonade zu trinken, bevor sie zu Bett ging.
    Es lief eine neue Reality Show. Ein paar Männer und Frauen lebten gemeinsam für einige Wochen von der Außenwelt isoliert in einem Leuchtturm auf einer kleinen Insel. Eine der Frauen hatte ein Tennismatch gewonnen und jetzt sollten die Zuschauer per Telefon darüber abstimmen, welchen der Männer sie heiraten sollte.
    Wie bitte?
    *
    Pearl war eingedöst.
    Inzwischen war es nach eins. Im Fernsehen stritt ein Mann, der einen blauen Anzug und eine rote Krawatte trug, mit einem anderen Mann, der einen blauen Anzug und eine rote Krawatte trug, über Abtreibung.
    Pearl blinzelte und setzte sich auf. Sie hatte den Fernseher mitten in den Raum geschoben. Die Wand dahinter war fast vollständig gestrichen. Die visuelle Bestätigung ihrer Leistung brachte Pearl nicht die Befriedigung, die sie

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