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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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erwartete hatte. In ihrem deprimierten Zustand fragte sie sich, warum sie überhaupt so viel Optimismus und Energie verspürt hatte, dass sie die Malersachen aus dem Schrank im Flur geholt und angefangen hatte, die Wand zu streichen.
    Sie überlegte, ob es vielleicht etwas mit Quinn zu tun hatte, doch wenn sie es genau bedachte, schien es ihr völlig absurd. Quinn war alt genug, um ihr Vater zu sein – zumindest biologisch betrachtet. Wenn sie was miteinander anfangen würden, dann wäre es so wie in den alten Filmen mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall, wo niemand zu bemerken oder sich nicht daran zu stören schien, dass Bacall blutjung war und Bogart kurz vor der Senilität stand. Oder wie bei Fred und Ethel in I love Lucy . Was zur Hölle wollte Ethel mit einem Fossil wie Fred?
    Auf der anderen Seite, dachte Pearl, wäre es vielleicht gar nicht so schlimm, die Zelluloid-Bacall zu sein. Oder, was das betraf, auch Ethel. Auf jeden Fall besser als eine Frau, die kurz davor war, arbeitslos zu werden und sich mit einem alternden Ex-Cop einzulassen, von dem jeder glaubte, dass er ein Kinderschänder war.
    Zumindest fast jeder.
    Die Fernsehsprecher hatten das Thema gewechselt und diskutierten nun über das Staatsdefizit. Pearl hörte etwas über die »Opferung kommender Generationen«.
    Wenn man ehrlich war, sah die Zukunft nicht gerade rosig aus für Pearl, Quinn und Fedderman. Sie saßen ganz weit draußen auf einem Ast, den ein paar sehr wichtige Leute abzusägen versuchten. Egan war ein absolutes Arschloch, und selbst Quinn hatte kein Vertrauen zu Renz. Die Lokalpresse wurde langsam gemein, und Quinn war der einzige, der glaubte, sie hätten tatsächlich Fortschritte bei dem Fall gemacht.
    Pearl beschloss, am nächsten Tag Quinns Schwester anzurufen, sich vielleicht mit ihr auf einen Kaffee zu verabreden und ihren Optimismus zurückzuerlangen. Was immer Michelle Quinn für geheimnisvolle Dinge mit ihrem Computer anstellte, schienen sie ihr stets genug Zuversicht geschenkt zu haben, um an die Unschuld ihres Bruders zu glauben. Es bestand immerhin die Möglichkeit, dass sie es schaffte, Cyber-Puzzleteile zusammenzusetzen und sie im Night-Prowler-Puzzle weiterzubringen.
    Der Night Prowler. Pearl wollte heute nicht mehr über diesen Perversen nachdenken. Sie würde sonst nicht schlafen können. Quinn war unschuldig und litt wie einer dieser armen Trottel in der Bibel, die ins Exil geschickt wurden, um Buße zu tun, während der Night Prowler, ein Mörder, seine sadistische Neigung ungestraft befriedigen konnte.
    Pearl beschloss, sich nicht weiter darüber aufzuregen. Sie sah, dass sie vergessen hatte, einen der Farbeimer wieder zu verschließen. Nun gut. Inzwischen hatte sich wahrscheinlich eine Haut aus getrockneter Farbe gebildet, die den Zweck eines Deckels erfüllte. Kein Grund, sich heute Nacht noch damit zu beschäftigen, müde wie sie war. Morgen früh würde sie die Farbe und das andere Zeug zurück in den Schrank stopfen und versuchen, nicht mehr daran zu denken.
    Einer der Fernsehexperten fuchtelte wild mit seinen Armen und versuchte, den anderen Kerl zu übertönen, wobei er darauf bestand, dass die Zukunft gesichert war. Pearl benutzte die Fernbedienung, um ihn mitten im Satz abzuwürgen, dann ging sie zu Bett.
    Selbst in ihrem Leben gab es kleine Befriedigungen.
    Da war sie. Er war sich so gut wie sicher.
    New York war groß, aber man traf immer noch unerwartet auf Leute, die man kannte.
    Heute Morgen trug sie nicht das nuttige Outfit, das sie bei ihrer ersten Begegnung getragen hatte, sondern war angezogen wie eine reiche Business-Tussi. Das Gebäude, das sie eben verlassen hatte, sah aus, als würde die Miete dort ein Vermögen kosten. So wie sie sich verhielt, war klar, dass sie dort wohnte und nicht zu Besuch gewesen war.
    Ihre Haare waren anders. Irgendwie fluffiger.
    Er befand sich auf der anderen Straßenseite und versuchte, näher an sie heranzukommen, um sich zu überzeugen, dass sie es wirklich war. Doch der uniformierte Portier, der sie anscheinend kannte, winkte ihr ein Taxi heran, und sie war verschwunden, bevor er es geschafft hatte, die Straße zu überqueren.
    Nicht, dass es wichtig war. Er war sich sicher genug, und ein genauerer Blick hätte ihm auch nicht viel mehr offenbart. Die Striemen, die er ihr mit der Peitsche verpasst hatte, waren unter ihren Kleidern verborgen. Genau wie die blauen Flecke – außer vielleicht jenen an ihren Knöcheln, wo er sie gepackt und über den Boden

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