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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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sondern stell ihn zur Schau. Vergolde ihn wie die anderen Rohre. Es wird gut aussehen, aber ich warne dich gleich: Es wird sehr teuer.«
    Victory wedelte mit seinem langen rechten Arm, als ob er versuchen würde, ein Stück Zellophan loszuwerden, das an seinen Fingern klebte und ihn nervte. »Wir sind hier weit, sehr weit von teuer entfernt. Geld spielt absolut keine Rolle. Es ist einfach kein Teil der Gleichung. Das Problem ist, dass die Legierung des Pfeilers sich nicht vergolden lässt.« Er schenkte Romulus ein Lächeln, das er wahrscheinlich für einnehmend hielt. »Deshalb frage ich dich um Rat, mein lieber Freund. Jeder in der Branche sagt in so einem Fall: Ruf Romulus an! Er wird dir zur Hilfe eilen wie die Kavallerie in einem dieser Western, in dem die Farben so aussehen, als wären sie von Gauguins Malerpallette getropft. Nun, du hast meinen Hilferuf vernommen.« Victory legte eine Hand an sein Ohr, als ob er lauschen würde. »Höre ich ein Signalhorn, das zum Angriff bläst?«
    »Ich kann den Pfeiler anmalen und es wie Gold aussehen lassen. Aber es wird genauso teuer sein wie echtes Gold.«
    »Das spielt keine Rolle!«, versicherte Victory Romulus. »Ich muss dich noch um einen weiteren Gefallen bitten, der mir das Leben retten und meine Klienten in absolute Glückseligkeit versetzten würde: Kannst du den Auftrag, bitte, bitte, so schnell wie nur irgendwie möglich erledigen?«
    »Sind drei Tage in Ordnung?«
    Victory schüttelte den Kopf und wedelte die Worte weg als wären sie Bienen, die um ihn herumschwirrten. »Zwei? Kannst du bitte zwei Tage draus machen? Setz einen Eilzuschlag auf deine Rechnung. Zwanzig Prozent.« Er winkte ab. »Dreißig.«
    »Zwei Tage«, sagte Romulus.
    »Du bist der Beste , mein lieber Freund!«
    »Natürlich bin ich das.«
    Romulus verließ das Sandsteinhaus und ging einen halben Block bis zu seinem schwarzen Cadillac. Er wusste genau, was er für den stählernen Stützpfeiler verwenden würde: eine spezielle Farbe, die er aus Blattgold und einer billigen No-Name-Grundierung zusammenbrauen würde. Es war nicht einfach, die beiden Zutaten so kurzfristig aufzutreiben, aber er war sich sicher, dass er noch etwas davon bei seinen Vorräten finden würde, die er genau für solche Fälle angelegt hatte. Die Farbe musste fachmännisch in drei bis vier Lagen aufgetragen werden, aber das Ergebnis sah verblüffend echt aus.
    Romulus machte es sich im kühlen Inneren des Cadillacs bequem und fädelte sich in den Verkehr ein. Er lächelte, während er durch enge Seitenstraßen fuhr und zusah, wie New York hinter den getönten Scheiben an ihm vorbeiglitt: die winzigen Restaurants, die so taten, als wären sie Straßencafés, die in zweiter Reihe geparkten Autos, die engumschlungenen Liebespaare, die vom Leben Gebeutelten und Müden, die auf nackten Betonstufen saßen, die Verlorenen, die in träger Verwirrung umherwanderten.
    Romulus’ Leben war gut und wurde immer besser. Er hatte alles unter Kontrolle. Zumindest im Moment. In dieser Welt, die er sich geschaffen hatte, gab es Ordnung und Befriedigung.
    Er hatte seinen Beruf selbst erfunden: Exklusiv-Maler. Das stand in Goldschrift auf der weißen Visitenkarte, zusammen mit seinem Namen: Romulus.
    Es war nicht einfach gewesen, den Respekt und die Bewunderung der Leute zu erlangen, die ihn anfangs nur als weiteren Subunternehmer betrachteten, als jemanden, der ganz gut darin war, Farbe auf Wänden zu verteilen.
    Doch sie hatten schnell gemerkt, dass er kein gewöhnlicher Maler war. Das war der Grund, aus dem er inzwischen solch hohe Preise von den Top-Dekorateuren verlangen konnte, die ihn anheuerten, um dann einen noch viel höheren Preis an ihre reichen Klienten weiterzugeben. Er stimmte Farben präzise aufeinander ab, schattierte abgeschrägte Kanten und Leisten so, dass Türrahmen selbst im direkten Licht schattenreicher und tiefer wirkten, als sie es in Wirklichkeit waren. Er wählte die Farben so, dass sie perfekt zu den Möbeln passten, veränderte Oberflächenstrukturen, tönte Wände so ab, dass Räume größer oder kleiner erschienen, und schuf Licht und Schatten, wo es keins der beiden gab.
    Er war ein Künstler. Ein Unikat. Das war es, was seine Klienten wollten, genau wie sie darauf bestanden, dass ihre Abendgarderobe und alles andere in ihrem Leben einmalig war.
    Wenn er einen Auftrag hatte, fuhr er in seinem schwarzen Cadillac vor, trug einen Armani-Anzug und hatte alles, was er brauchte, in einem schwarzen Koffer dabei.

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