Opferschrei
ihm, und die Klinge des Messer blitzte auf.
Der plötzliche Ausbruch von Gewalt, das viele Blut und ihr Entsetzen ließen Mary wie festgewurzelt stehen. Donald lag zusammengerollt auf seiner Seite, wie eine lebensgroße, weggeworfene Puppe zu ihren Füßen, die Gips-Ananas immer noch in seiner rechten Hand. Es war alles so schnell gegangen, so schnell!
Das hier muss jemand anderem passieren. Ich bin hier, schaue aber nur zu, wie in einem Film … Zeit, Zeit für alles, gleich bleibt sie stehen …
Eine starke Hand packte ihre Haare und riss ihren Kopf nach hinten. Sie wusste, dass ihre Kehle aufgeschlitzt werden würde.
Doch stattdessen fuhr die Klinge des Messers wie Eis unten in das weiche Fleisch ihres Bauches. Es nahm ihr den Atem und betäubte sie mehr als dass es schmerzte. Jedes Mal wenn sie anfing zu fallen, blitzte das Messer im Licht der Küche auf, bevor es wieder in sie fuhr und mit seiner Kraft nach oben zog. Irgendwo unter ihrem Grauen arbeitete ihr Verstand. Sie wollte fallen, wollte, dass es aufhörte, doch er ließ es nicht zu. Noch nicht. Sie durfte nicht sterben.
Er weiß, wo er mich treffen muss, wo es wehtut, mich aber nicht tötet!
Er hatte hinter ihr gestanden, ein wenig seitlich. Damit er nicht zu viel Blut abbekommt. Jetzt änderte er seine Position und Licht fiel auf sein Gesicht, das nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt war.
Ich kenne ihn! Mein Gott, ich kenne ihn!
Er stach jetzt anders auf sie ein, härter, direkt unter ihren Brüsten in einem aufwärtsgeneigten Winkel. Er versuchte, ihr Herz zu erreichen und es zum Bersten zu bringen. Der explodierende Schmerz ließ die Welt um sie weiß werden, und dann dunkler und dunkler …
Das Letzte, was sie sah, war das lüsterne Grinsen auf dem Gesicht ihres Mörders, mit seiner herausbaumelnden Pastrami-Zunge – vertraut, eine schwache Erinnerung aus tausend Albträumen, die wahr geworden waren. Sie sank, sank, und ihre Handflächen lagen flach neben ihr auf dem Boden, in einer warmen Flüssigkeit. In der stillen Dunkelheit schob sie sich vorwärts, bis ihre kraftlose, blutige Hand die Wand berührte.
Sie fing an, blind mit ihrem Zeigefinger zu schreiben.
31
Hiram, Missouri, 1989.
Sie hörten seine schweren Schritte auf dem Holzboden der Veranda; dann ging die Tür auf und zu.
Es war keine Überraschung. So war es immer. Milford war rechtzeitig zum Abendessen, das Cara auf dem Herd köcheln ließ, nach Hause gekommen. Sie hatte die Flammen heruntergedreht und den Ofen auf 65 Grad eingestellt; dann war sie nach oben ins Schlafzimmer gegangen, wo Luther auf sie wartete.
Luther schob seinen nackten Körper von Cara hinunter und setzte sich auf den Rand des Betts. Er atmete schwer und beobachtete die Wölbung seines Bauchs, die sich wie ein Blasebalg hob und senkte. Ein Schweißtropfen hing an seiner Nasenspitze, dann löste er sich und hinterließ einen dunklen, fast kreisrunden Fleck auf dem Teppich. Gedankenverloren betrachtete er eine Weile den Fleck, während sein Atem sich langsam beruhigte.
Es gab keinen Grund, sich zu beeilen. Die beiden kannten Milfords Gewohnheiten. Er würde unten bleiben, sich in seinen Sessel setzen und einen Scotch als Aperitif trinken.
Trotzdem war Cara nervös. Sie stieg aus dem Bett und puderte sich mit Trocken-Deodorant ein. Dann zog sie ihr Kleid über den Kopf und strich den Stoff glatt. Nachdem sie den sich langsam drehenden Deckenventilator schneller gestellt hatte, ging sie zum Frisierspiegel und ordnete ihr Haar. Luther, der inzwischen seine Jeans angezogen hatte und die restlichen Kleider in der Hand hielt, küsste sie auf den Hals. Sie blickten sich im Spiegel an und schenkten sich gegenseitig ein Lächeln, das sich erstaunlich ähnlich war in seiner geheimen Sehnsucht, seinen geheimen Träumen.
Luther ging zur Tür.
»Luther!«, flüsterte Cara erschrocken.
Er blieb stehen.
»Vergiss das nicht.« Sie deutete auf den zugedeckten Porzellanteller auf der Kommode, auf dem ein Sandwich lag und etwas von dem Gemüse, das unten zusammen mit der Rinderbrust warmgehalten wurde. Ein Teil von Milfords Abendessen, den nicht er verspeisen würde.
Luther grinste sie an und nahm den Teller. Sein Hemd hatte er sich über den Arm gehängt, um eine freie Hand zu haben. In der anderen Hand trug er seine Schuhe. Barfuß verließ er das Schlafzimmer und tappte den Flur hinunter zu der engen Treppe im rückwärtigen Teil des großen Hauses. Er strengte sich nicht an, gar keine Geräusche zu machen.
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