Opferzahl: Kriminalroman
angeschossen wurde, aber unter ihren Augen gab es sicher noch dunkle Schatten. Trauerschatten.
Sie hob ein wenig die Stimme, und der Ton wies kleine Risse an den Rändern auf.
»Das Schlimmste ist, dass ich nicht weiß, ob er mich hört. Er ist ja nicht hirntot, vielleicht hört er jedes Wort, das ich sage. Ich möchte es so gern glauben. Aber möglich ist auch, dass ich nur ins Leere rede.«
Sie kamen in die gigantische Garage unter dem Präsidium und quittierten bei einem Mann in einem kleinen Kabuff für die Schlüssel. Der Mann hieß Jinge und bewachte die Garage mit Adleraugen. Kerstin Holm nahm die Schlüssel in Empfang und winkte zwei Gestalten zu, die bei einem Wagen standen, der etwas größer war als die anderen zivilen Polizeifahrzeuge in der Garage. Bei näherem Hinsehen war es ein Minibus, ein Familienauto der Marke Toyota Picnic, der genau genommen Arto Söderstedts Privatwagen war und aus verschiedenen Gründen die meiste Zeit in der Garage des Präsidiums verbrachte. Die elenden Parkmöglichkeiten in Södermalm, wo er wohnte, waren ein Grund. Ein zweiter das Kilometergeld. Söderstedt war Rechtsanwalt gewesen und seine alte juristische Geschicklichkeit hatte es ihm möglich gemacht, den Minibus im Dienst zu benutzen. Niemand wusste, wie es zugegangen war, und niemand wagte zu fragen. Aber man ahnte eine Art korrupter Verbindung zwischen ihm und Waldemar Mörner, dem formalen Chef der A-Gruppe.
Als sie näher kamen, konnte Gunnar Nyberg endlich die Gesichtszüge der beiden Männer neben dem Minibus erkennen, aber wirklich sicher war er erst, als er Arto Söderstedts Stimme hörte. Zum allerersten Mal gestand er sich selbst ein, dass er eine Brille brauchte.
»Was soll das?«, fragte die freundliche finnlandschwedische Stimme, deren Inhaber auf die Schlüssel zeigte, die Kerstin Holm über ihrem Kopf schwenkte. »Fahren wir nicht mit meinem Auto?«
»Ich habe für einen neuen Dienstwagen quittiert«, sagte sie. »Komm mit.«
Söderstedt sah das Kilometergeld entschwinden und sagte:
»Aber in meinem Auto haben wir mehr Platz. Gunnar fährt ja mit.«
»Ich bin nicht nur schlank«, sagte Gunnar Nyberg, »sondern auch so gut im Gleichgewicht, dass ich mich in meiner Gemütsruhe von den wenig geschmackvollen Äußerungen deiner Gier nicht beeinflussen lasse.«
»Ich will diesen hier ausprobieren«, sagte Kerstin Holm einfach. »Kommt alle mit. Ihr beide sitzt hinten.«
»Hm«, sagte Viggo Norlander.
Sie fanden das Dienstfahrzeug, für das sie gerade quittiert hatte, mithilfe des Schlüssels. Der Wagen, der hupte und blinkte, ließ die Augen der drei Männer schmal werden. Er war ziemlich klein und hatte eine surrealistische Kuppelform.
»Und da drin sollen Menschen sitzen?«, maulte Arto Söderstedt.
»Vorzugsweise ja«, sagte Kerstin Holm und öffnete die Fahrertür. »Aber ihr werdet sicher auch Platz finden.«
Wenig begeistert bestiegen die Herren das kleine bronze-metallicfarbene Auto. Als sie dann im Wagen saßen, sahen sie sich verdutzt an und stellten fest, dass sie kleiner waren, als sie geglaubt hatten.
»Es ist ein Hybridauto«, sagte Kerstin Holm und fuhr rückwärts aus der Parklücke. »Es wird von einer Kombination aus Elektro- und Benzinmotor angetrieben und braucht nur vier Liter auf hundert Kilometern. Aber im Stadtverkehr verbraucht es fast gar nichts. Und es ist ganz leise. Hört mal.«
Als das Auto auf die Bergsgata glitt, glitt es wirklich auf die Straße, und die drei Männer konnten nur feststellen, dass es tatsächlich völlig geräuschlos war. Es war ein Gefühl, als sei der Motor ausgegangen.
»Unglaublich«, meinte Söderstedt.
»Japaner, Japaner«, sagte Nyberg.
»Da habt ihr die Zukunft«, gab Holm zurück.
Dann sagten sie nichts mehr, bis sie nach Högdalen kamen. Schweigend passierten sie den Globus am Nynäsväg, bogen ab und folgten im Großen und Ganzen der Strecke der grünen U-Bahn-Linie nach Högsätra, der Endstation, die der Zug mit dem letzten Wagen Carl Jonas um i. 15 Uhr in der vorhergehenden Nacht hätte erreichen sollen. Was nicht geschehen war. Geräuschlos passierten sie die U-Bahn-Stationen Enskede gärd, Sockenplan, Svedmyra, Stureby und Bandhagen, und als sie die Station Högdalen im Zentrum des gleichnamigen Stadtteils erreichten, zwei Stationen vor der Endstation Hagsätra, bogen sie, immer noch mäuschenstill, von der grünen Linie ab und kamen in ein spinnennetzähnliches Gleisgebiet, wo zahlreiche Anschlussgleise
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