Opferzahl: Kriminalroman
Motivbild ändern«, sagte Söderstedt. »Es kann kein Zufall sein. Es kann sich um Leute handeln, die es gerade auf diese Gruppe abgesehen hatten, was es auch immer für Männer waren.«
»Sie scheinen nicht gerade die Creme unserer Gesellschaft zu vertreten«, sagte Lena Lindberg, »oder auch nur besonders wichtig zu sein. Gewöhnliche Männer, ein Student, ein Taxifahrer, ein Vertreter, ein Meeresbiologe, ein Unternehmer in der Computerbranche. Nicht gerade hot shots.«
»Und der Selbstmordattentäter selbst?«, fragte Jon Anderson. »Gibt es da Fortschritte?«
»Es sieht nicht so aus«, erwiderte Kerstin Holm. »Aber wenn unsere Überlegung zutrifft, dann war er wohl einer von ihnen. Einer aus dieser Gruppe.«
»Und dann«, sagte Jon Anderson mit einem Seufzer, »wäre unsere ganze Jagd nach den heiligen Reitern von Siffin vergeblich? Sind wir also völlig auf dem falschen Dampfer?«
Das riss Jorge Chavez aus einem Zustand, der von außen betrachtet lange völlig katatonisch gewirkt hatte. Er sagte, nicht ohne eine gewisse Aggressivität:
»Und das verfluchte Treffen mit dem Idioten Kill, das wir für heute Nacht vereinbart haben, wäre völlig vergeudete Liebesmüh.«
»Dessen bin ich mir überhaupt nicht sicher«, sagte Sara Svenhagen.
Alle wandten sich ihr zu. Etwas in ihrer Stimme ließ das Auditorium aufhorchen. Sie fuhr fort:
»Ich glaube, wir sollten an unserem Interesse für Siffins heilige Reiter festhalten. Wir haben nämlich einen von ihnen gefunden. Und ich bin ziemlich sicher, dass das Zitat, das der Anrufer benutzt hat, aus genau diesem Buch stammt.«
Sie hielt ein dickes, in Plastik eingeschlagenes Buch in die Höhe.
»Dies ist Ibn Khalduns al-Muqaddima oder Prolegomena in der schwedischen Übersetzung von Ingvar Rydberg. Es wurde am neunundzwanzigsten Juni im Multikulturellen Zentrum in Fittja gärd ausgeliehen und auf den Tag genau am neunundzwanzigsten Juli zurückgebracht. Der Entleiher hat genau das Zitat mit zwei dicken Bleistiftstrichen markiert, und als er das Buch zurückbrachte, fiel sein Blick auf die Anschlagtafel im Fittja gärd, wo die Telefonnummer der Polizei in Älvsjö hängt. Ich tippe, dass Mehran Bakhtavar sich die Nummer merkte, ohne groß darüber nachzudenken, und sie also parat hatte, als er - oder einer seiner Freunde - anrief und sich zu der Tat bekannte.«
»Mehran Bakhtavar?«, fragte Kerstin Holm.
»Er wohnte in Värberg«, sagte Sara Svenhagen. »Aber er starb gestern Abend. Er wurde von einem Auto überfahren, als er ein Vereinslokal am Värbergsväg verließ. Der Fahrer des Wagens beging Fahrerflucht.«
»Gestern Abend?«, sagte Holm nur.
»Pech?«, sagte Svenhagen. »Oder?«
»Das klingt doch sehr unwahrscheinlich. Erzähl alles, was du weißt.«
»Nachdem ich von der Bibliothekarin seinen Namen und die Adresse bekommen hatte, traf ich mich mit Lena, und wir gingen gemeinsam zu Mehran Bakhtavars Wohnung in der Rönnholmsgränd 59. Eine ziemlich angenehme Wohngegend, dafür, dass sie ausgerechnet von 1968 ist. Sie liegt an der Grenze zwischen Värberg und Johannesdal, nah am Wasser, mit Fähren hinaus auf den Mälaren und einem Sandstrand, den man zu Fuß erreichen kann. Er wohnte im dritten Stock, und als wir ankamen, war die Wohnung voller trauernder Verwandter. Es war eine ziemlich heikle Situation, aber wir konnten auf jeden Fall herausbekommen, dass er gestern Abend um 22.45 Uhr gestorben ist, nachdem er ein persisches Vereinslokal am Värbergsweg, nur wenige Hundert Meter von seiner Wohnung entfernt, verlassen hat.«
»Wo man wohl kaum von rasenden Idioten angefahren wird«, sagte Kerstin Holm.
»Nein, kaum. Mehran Bakhtavar war Iraner - oder eher, was man so dümmlich als >zweite Einwanderergeneration< bezeichnet. Seine Eltern flohen in den Siebzigerjahren, gegen Ende des Schah-Regimes, aus dem Iran, und Mehran wurde in Schweden geboren und Schwedisch war seine Muttersprache. Er beherrschte jedoch auch Persisch und Arabisch. Er wurde 1983 geboren und studierte Politikwissenschaften an der Universität. In letzter Zeit hat er immer häufiger dieses Vereinslokal besucht und zur Freude seiner Eltern endlich angefangen, sich an seine Landsleute zu halten.«
»Das klingt an und für sich nach einem ziemlich klassischen Muster«, sagte Kerstin Holm. »Gut ausgebildete und gut integrierte Einwanderer der zweiten Generation, die von der Einsicht erfasst werden, dass sie ausgeschlossen bleiben und eine Gemeinschaft brauchen,
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