Opferzeit: Thriller (German Edition)
mal gesehen?«, fragt er und reicht das Foto Raphael, der immer noch steht. Wofür Schro der dankbar ist, denn er möchte sich den Anblick des sitzenden Raphael lieber ersparen.
Raphael nimmt das Foto und betrachtet es ein paar Sekunden lang. Dann ein paar weitere. Nichts deutet darauf hin, dass er sie erkennt. Er neigt nicht wie gestern Abend den Kopf zur Seite, als er versuchte, sich zu erinnern, ob er die Namen, die Schroder ihm nannte, schon mal gehört hat. Er dreht das Bild auch nicht, um mehr zu erkennen. Dann schüttelt er langsam den Kopf und gibt es ihm zurück.
»Sollte ich?«
»Ja«, sagt Schroder. »Zumindest sollten Sie sie aus den Nachrichten kennen.«
»Warum? Wer ist das?«
»Ihr richtiger Name ist Natalie Flowers«, sagt Schroder.
»Oh, natürlich«, sagt Raphael. »Melissa. Ich habe sie nicht erkannt. Ich schaue momentan wirklich kaum Nachrichten. Sie sind zu deprimierend.«
»Sie haben sie also auch nicht auf einem Ihrer Treffen gesehen?«, fragt Schroder, und er reicht ihm erneut das Bild.
»Auf einem der Treffen?« Raphael lacht, dann schüttelt er den Kopf. »Warum zum Henker sollte sie zu den Treffen kommen?« Er nimmt das Foto und hält es dichter an sein Gesicht. Dann dreht er es erneut und neigt den Kopf. »Ist das Melissa?«, fragt er.
»Ja.«
»Sie wirkt gar nicht …«
Da er den Satz nicht beendet, sucht Schroder nach dem passenden Wort. »Böse?«
Raphael antwortet nicht. Er starrt weiter auf das Foto.
»Sie erkennen sie aber wieder, oder?«, fragt Schroder.
Raphael schüttelt den Kopf. »Ich glaub schon, also, wie Sie sagten, aus den Nachrichten. Aber woanders habe ich sie nicht gesehen. Jedenfalls nicht auf einem meiner Treffen.«
»Sind Sie sicher, Raphael?«
»Also, nein, nicht hundertprozentig. Sie verkleidet sich bestimmt, oder? Darum haben Sie sie noch nicht gefunden. Aber soweit ich weiß, nein, sie war nie auf einem der Treffen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, warum sie da hinkommen sollte.«
»Vielleicht um den Schmerz zu genießen, den sie verursacht hat«, sagt Schroder.
Raphael nickt. »Daran habe ich nicht gedacht.«
Schroder nimmt das Foto wieder an sich und steckt es zurück in die Jacketttasche. Es war einen Versuch wert. Er steht auf. Denn er hat einen Job, der auf ihn wartet, und das hier ist er nicht.
»Rufen Sie mich an, falls Ihnen noch was einfällt«, sagt er, obwohl er weiß, dass er nichts von Raphael hören wird, dass Raphael die Polizei und nicht ihn anrufen wird, falls ihm etwas einfällt. Schön, er hat getan, weswegen er gekommen ist. Er schüttelt Raphael die Hand.
»Mach ich, Detective«, sagt Raphael und folgt Schroder zur Tür.
Kapitel 33
»Eigentlich solltest du das gar nicht sehen«, sagt Raphael.
Melissa dreht sich von der Wand zu ihm um. Er steht im Türrahmen, nur mit dem Handtuch und der Unterhose darunter bekleidet. »Was ist das für ein Zimmer?«, fragt sie.
Er macht einen Schritt auf sie zu. »Das war das Zimmer unserer Tochter, als sie noch bei uns wohnte. Nachdem sie ausgezogen war, haben wir ein Arbeitszimmer daraus gemacht und all ihre Spielsachen eingelagert. Nach ihrem Tod haben wir das Zimmer wieder so hergerichtet wie damals, als sie noch ein Kind war.«
»Aber nicht genau wie damals«, sagt Melissa und betrach tet die Wand, an die Zeitungsartikel geheftet sind. Das hier ist ziemlich interessant. Sie kann sich vorstellen, wie Raphael hier auf der Bettkante hockt, die Wand anstarrt und Rachepläne schmiedet, bis es Abend wird und weiter bis tief in die Nacht. Während seine Obsessionen sich mit etwas Alkohol vermischen.
»Wie gesagt, eigentlich solltest du nicht in diesem Zimmer sein«, sagt er und macht einen weiteren Schritt auf sie zu. Er erinnert sie an ihren Vater, wenn sie ungezogen war. Er hat sie dann immer am Arm gepackt und fortgebracht. Raphael wirkt, als wollte er nun das Gleiche tun.
»Ich musste mich doch irgendwo verstecken«, sagt Melissa, »sonst hätte mich der Polizist gesehen.«
»Wäre das so ein Problem gewesen?«
»Nein, nein, ich glaub nicht«, sagt Melissa, aber in Wirklichkeit wäre es ein Riesenproblem gewesen. Was sie im Zimmer seiner toten Tochter gefunden hat, ist interessant. Wirklich interessant.
»Ich schätze, du erwartest eine Erklärung«, sagt er.
»In Anbetracht unseres gemeinsamen Vorhabens, ja.«
»Wirst du die Polizei verständigen?«
»Kommt auf deine Erklärung an«, sagt sie, aber sie wird natürlich nicht die Polizei verständigen.
»Gib mir eine
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