Opferzeit: Thriller (German Edition)
können.«
Eine Reihe von Rettungswagen jagt vor uns von links nach rechts über die Kreuzung.
»Es wird Zeit, von hier zu verschwinden«, sagt sie.
Sie fährt los, wir biegen ein weiteres Mal rechts ab und halten dann dort, wo auch die anderen Rettungsfahrzeuge stehen. Wir sind im Kreis gefahren. Jetzt liegt ein explodierter Wagen hinter uns und ein explodierter Wagen vor uns. Sie steigt aus dem Rettungswagen, läuft um das Fahrzeug herum und steigt am Heck wieder ein. Sie zieht die tote Frau über den Boden, dann langt sie hinunter zu dem Mann. Sie schüttelt ihn. »Komm schon«, sagt sie, »schlafend kann ich dich nicht gebrauchen.«
Der Mann reagiert nicht. Sie überprüft seinen Puls. Dann schüttelt sie den Kopf. »Nein«, sagt sie, und mir wird klar, dass der Kerl eine gute Ausrede dafür hat, dass er nicht reagiert. Genau genommen hat er so ziemlich die bestmögliche Ausrede. »Eigentlich hätte er dir helfen sollen«, sagt sie.
»Du hast sie beide getötet?«
»Das war nicht meine Absicht. Ich schätze, ich hab die falsche Dosierung erwischt.«
»Und wer wird mir jetzt helfen?«, frage ich und nehme die Mullbinde von meiner Brust. Sie muss dringend erneuert werden. »Ich werde hier verbluten«, sage ich, und meine Stimme wird höher.
Einer der Sensenmänner, die ich vorhin gesehen habe, oder vielleicht ist es auch ein anderer, liegt da draußen auf der Straße. Er bewegt sich nicht. Seine Kapuze ist weggerissen worden, genauso wie die Hälfte seines Gesichts, aber das könnte natürlich auch Teil seiner Maskierung sein. Schwer zu sagen.
»Wir müssen hier weg«, erkläre ich ihr.
»Noch nicht«, sagt sie. Weitere Rettungsfahrzeuge halten mit jaulenden Sirenen, die Türen werden aufgerissen, noch bevor sie richtig zum Stehen gekommen sind. Leute springen heraus und innerhalb von Sekunden machen sie sich an anderen Leuten zu schaffen. Bald werden sie eingeladen und davongefahren.
»Komm, lass mich mal sehen«, sagt Melissa, sie kniet sich vor mich hin, legt eine Hand auf meine gesunde Schulter und knöpft mir mit der anderen das Hemd auf. Trotz der ganzen Ereignisse bin ich plötzlich erregt, lege eine Hand auf ihren Nacken und ziehe sie zu mir heran, um ihr einen Kuss zu geben, aber sie wehrt sich. »Nicht jetzt, Joe.«
»Ich hab dich vermisst«, erkläre ich ihr.
»Ich weiß. Das hast du schon gesagt«, erwidert sie.
Sie schließt die Türen des Rettungswagens und steigt wieder vorne auf den Fahrersitz. Sie lässt den Motor an und schaltet die Sirene ein. Die Straßen sind immer noch voller Leute, aber sie haben sich irgendwie verteilt, die großen Gruppen zerfallen in kleinere Gruppen und die kleineren Gruppen in Einzelpaare.
Wir nehmen dieselbe Straße wie zuvor. Wir fahren weiter Richtung Süden. Dann biegen wir rechts ab. Eigentlich rechne ich damit, dass uns hier Hunderte von Streifenwagen den Weg versperren, viele Männer mit Gewehren, und dass sich dieser Sonntagmorgen von vor einem Jahr wiederholt, nur habe ich diesmal keine Pistole und auch keine Fat Sally. Doch nichts dergleichen geschieht. Wir folgen einfach den anderen Rettungswagen. Wir fahren im Konvoi mit ihnen den ganzen Weg zum Krankenhaus. Nur sollten wir ja eigentlich gar nicht zum Krankenhaus fahren, weil das gar keinen Sinn ergibt. Trotzdem tun wir genau das. Aber anstatt die für die Rettungswagen vorgesehene Einfahrt zu nehmen, biegt Melissa in die Einfahrt für die ganz normalen Krankenhausbesucher ein. Sie schaltet die Sirene aus. Wir rollen auf den Parkplatz hinten auf der Rückseite des Krankenhauses. Er ist voll besetzt. Sie parkt in zweiter Reihe neben einem weißen Transporter. Ich habe die Nase gründlich voll von Transportern. Sie schaltet den Motor aus. Dann kommt sie nach hinten, öffnet die Hecktür und hilft mir her aus. Grelles Sonnenlicht umflutet uns. Autos, Bäume, ein Parkautomat, eine Picknickbank mit einem Sandeimer voller Zigarettenstummel daneben, ein paar leere Kaffeebecher auf der Bank, aber nirgendwo sind Menschen. Im Krankenhaus ist die Kaffeepause jetzt für alle vorbei, und das haben sie Melissa zu verdanken. Melissa füllt ihren Rucksack mit medizinischen Instrumenten und Verbandszeug. Dann gehen wir los. Unser Ziel ist der weiße Transporter. Unterwegs hinterlasse ich eine blutige Spur. Sie kramt die Schlüssel aus ihrer Tasche und lässt die Tür des Lieferwagens aufgleiten. Sie hilft mir beim Einsteigen.
»Tut mir leid«, sagt sie. »Eigentlich hättest du längst Hilfe bekommen
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