Orangentage
Wer weiÃ, vielleicht war er für Rennen wie geschaffen und würde einmal berühmt sein! Er war noch keine vierzehn, er hatte noch nichts verpasst und genügend Zeit, um zu trainieren. Später würde er bei allen Grand Prixs in Europa antreten. Natürlich würde er gewinnen â mit Kirke oder mit anderen Pferden. Als europäische Spitze würde er sich die besten leisten können. Er sah schon die Headline vor sich: Der brillante mährisch-schlesische Reiter Darek Lysko gewinnt beim King George VI. and Queen Elizabeth Stakes! Und bei jedem Rennen würde Hanka auf der Tribüne stehen und ihn anfeuern. Genauso wie jetzt.
Er wandte den Kopf, um sicherzugehen, dass sie ihn ansah.
»Schade, dass ich die Kamera nicht mithabe«, sagte sie. Sie hatte es sich wieder auf dem oberen Balken gemütlich gemacht und hielt sich die Hand über die Augen, damit die Sonne sie nicht blendete. »Das Licht ist perfekt!«
Die Sonne stand über dem Westkamm des Altvatergebirges und übergoss den gegenüberliegenden Hang immer noch mit warmen Strahlen, die sich allmählich ockergelb verfärbten. Die Schatten wurden länger und der Waldrand oben an der Rauen Wiese lag im Dunkeln.
Kirke ging den ausgetretenen Pfad entlang der Hecke und nickte gleichmäÃig mit dem Hals. Sie trug den Kopf nicht mehr hoch und Darek schien es, dass sie ein bisschen schneller geworden war. Sie befanden sich immer noch auf der Ebene und so gab er die Zügel hin und verstärkte den Druck der Schenkel, um sie zu langen, ausgedehnten Schritten zu bewegen. Er hatte geplant, mit ihr vom raumgreifenden Schritt erst zum leichten und dann zum starken Trab überzugehen. Sonst nichts. Galoppieren lassen wollte er sie nicht. Zwar hätte er es sehr gern ausprobiert, er hatte aber Angst davor. Mit Herkules hatte er inzwischen Erfahrung, sein Galopp war ausgeglichen und ruhig, ohne Ãberraschungen. Herkules benahm sich wie ein routinierter Linienbusfahrer. Mit Kirke war es ungewiss und Darek wollte kein Risiko eingehen. Er wollte bei Hanka Eindruck schinden, sich nicht vor ihr blamieren.
»Herr Havlik in Sicht«, hörte er hinter sich ihre warnende Stimme. »Gerade hat er sein Haus verlassen und es sieht so aus, als ob er zu uns kommt.«
Ihre Warnung lieà Darek unbeeindruckt. Keiner konnte mehr seine Pläne durchkreuzen, auch Herr Havlik nicht. Dafür war es zu spät.
»Trab!«, sagte er, so wie er es bei Herkules gewohnt war, und schnalzte mit der Zunge. Die Stute ging in einen langsamen Trab über. Darek spürte sofort die deutliche Bewegung ihrer Muskeln unter dem Sattel und ein starkes, unangenehmes Schwingen. Plötzlich hatte er das Gefühl, als würde er auf zwei Pferden sitzen, die sich nicht auf den Rhythmus einigen konnten. Er trieb Kirke nochmals an und ging in Leichtreiten über. Sie verlängerte den Schritt, das unangenehme Schwingen lieà nach, war aber immer noch da. Die Stute hatte wohl irgendwas am Kreuz oder mit den Hinterbeinen und versuchte, ihr Gewicht vermehrt nach vorne zu verlagern. Wahrscheinlich Nachwirkungen der Verletzung, von der Anton erzählt hatte. Darek hätte ihn fragen sollen, was genau damals passiert war, worauf man bei ihr achtgeben sollte. Jetzt hatte er keine Wahl mehr, er musste sich der eigenartigen Bewegung anpassen und hoffen, dass er nicht wie ein Clown im Sattel aussah.
Sie trabten an der Hecke entlang, die Sonne schräg vor sich. Waliserin und die Tränke lieÃen sie zurück. Darek, den Blick zwischen die Ohren der Stute geheftet, nahm den Geruch ihres schwarzen Fells und ihren Schweià wahr, der in der warmen Sommerluft verdampfte und ihm in die Nase stieg. Alle Pferde rochen gleich und doch jedes ein bisschen anders, das hatte er schon längst bemerkt. Vielleicht lag es an der Rasse, am Alter, an der Farbe, oder daran, was sie fraÃen. Krokant stank in der letzten Zeit nach den Medikamenten, die er bekam. Waliserin roch, wer weià warum, nach einer frisch abgewischten Schultafel. Papa Schlumpf roch oft nach Harz, weil er sich gern an Bäumen rieb und an der Rinde nagte. Herkules verströmte den Geruch von ein wenig modrigem, platt gelegenem Heu. Bei Kirke überwog eine scharfe, würzige Note, die an Maggi erinnerte. Trotz der schlechten Koordination der Hinterbeine trabte sie ausgeglichen, energisch und mit Lust. Sie führte alle Befehle genau und ohne Zögern aus.
»Siehst du,
Weitere Kostenlose Bücher