Orphan 2 Juwel meines Herzens
und... “
„Einen Augenblick noch - wer ersetzt mir die Fensterscheibe? “ fragte der Ladenbesitzer. „Das wird mich wenigstens eine halbe Krone kosten. “
„Selbstverständlich werde ich dafür aufkommen“, versicherte Archie und tastete seine Taschen nach Münzen ab. „Warten Sie, ich weiß genau, ich habe hier irgendwo... “ Dann schüttelte er in scheinbarer Verwirrung den Kopf. „Verdammt aber auch. Mary, hast du eine halbe Krone bei dir? “
„Aber sicher. “ Sie wühlte in ihrer Handtasche herum. Nach einigen Augenblicken jedoch sah sie kopfschüttelnd auf. „Hm, ich habe die Börse daheim gelassen. “
„Hören Sie, Sir, wir machen Folgendes“, schlug Archie gut gelaunt vor. „In ungefähr einer Stunde komme ich mit dem Geld zu Ihnen in den Laden. Das Fenster repariere ich selbst. Da können Sie dann die halbe Krone behalten und für etwas anderes ausgeben... als Entschädigung wegen des ganzen Ärgers, den Sie mit dem Jungen hatten. Na, ist das nicht ein Angebot? “
Archie wusste natürlich, dass es dem Mann weit lieber gewesen wäre, das Geld sofort zu bekommen. Deshalb hatte er ihm ja auch ausgemalt, welchen Gewinn es brachte, wenn er sich bereit erklärte, ein wenig zu warten.
„Einverstanden“, willigte der tatsächlich ein.
„Gut. Junge“, Archie musterte Flynn streng und runzelte die Stirn. „Bringen wir dich heim. Da kannst du dann in Ruhe darüber nachdenken, wie aus dir ein besserer Mensch wird. “
„Ich will keine teuren Geschenke aus dem Laden, Söhnchen“, sagte Sal. „Nein, nein, mir reicht es völlig, wenn du nur immer bei mir bist und es dir gut geht. “ Sie schluchzte laut auf, putzte sich die Nase mit einem nicht eben sauberen Taschentuch und legte Flynn den Arm um die Schultern.
„Bis gleich dann, Sir! “ rief Archie dem Ladenbesitzer noch zu und schob Flynn dabei durch die sich bereits verkaufende Menschenmenge. „Das Fenster bring ich im nu wieder in Schuss. “
Sie verließen die Gasse und gingen alle drei Arm in Arm weiter. Als sie ein gutes Stück weit gekommen waren, machte Flynn sich eilig frei.
„Los, teilen wir den Rest der Beute“, schlug er leise vor. „Nicht hier“, funkelte ihn Archie böse an. Er zeigte auf die vielen Menschen, die die Straße entlanghasteten. „Wir bringen dich an einen sicheren Ort, wo wir uns den Kram in Ruhe ansehen können. “ Er tat, als müsste er eine Minute lang nachdenken. „Sal und ich haben ein Zimmer. Das ist gar nicht weit von hier. Am besten gehen wir dahin. “
„So viel Zeit habe ich nicht“, widersprach Flynn stur. „Gib mir einfach eins von den silbernen Etuis, und dann verschwinde ich. “
„Hier geb ich dir gar nichts“, entgegnete Archie. „Ich habe doch nicht vorhin meinen Hals riskiert, um dich vor der Polente zu retten, nur damit wir jetzt geschnappt werden. Entweder kommst du mit, oder du haust besser ab. Mir ist das ganz egal. “
„Wir haben Gin da“, versuchte Sal den Jungen zu locken. „Guten sogar, nicht so schrecklichen Fusel, wie du ihn sonst gewohnt bist. “
Flynn überlegte kurz. „Einverstanden. “
Schmollend folgte er den beiden, während sie durch die engen Gassen eilten. Sie kamen durch Hinterhöfe voller Abfall und stinkende Durchgänge, bis sie in einer wahren Verbrechergegend namens Devil’s Acre angelangt waren. Vor hundert Jahren hatten die nun verfallenen Häuser einmal reichen Leuten gehört. Jetzt hingegen war es eine der schlimmsten Ecken der Stadt, voller Gestank und Ungeziefer. Übelste Spelunken wechselten sich mit Freudenhäusern und schäbigen Pensionen ab. Dort konnte man für ein paar lumpige Münzen ein Bett mieten. Zusammengedrängt in einem Zimmer schliefen so manchmal an die dreißig Männer, Frauen und Kinder in einem Raum. Flynn | schien das Elend um sich herum gar nicht zu bemerken. Er hielt ungerührt Schritt mit den beiden Erwachsenen und sorgte sich offenbar nicht im Mindesten, dass er womöglich nicht mehr allein zurückfinden würde. In diesem Hort des Elends und der Hoffnungslosigkeit blieben Archie und Sal endlich vor einem verfallenen Haus stehen.
Archie stieg vor den anderen beiden die quietschende Treppe hinauf bis zum Boden. Dort schloss er eine Zimmertür auf, nachdem er einer Ratte einen Fußtritt verpasst hatte. Flynn folgte ihm und Sal in die Kammer.
Drinnen war es heiß und roch nach Gin, Urin und gekochtem Kohl.
„Ich teil nicht mit dir“, erklärte Archie rundheraus und schloss die Tür wieder hinter den
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