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orwell,_george_-_tage_in_burma

Titel: orwell,_george_-_tage_in_burma Kostenlos Bücher Online Lesen
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drei Pfund pro Woche leben. Sie zogen nach Paris, wo das Leben billiger war und wo Mrs. Lackersteen sich ganz ihrer Kunst widmen wollte.
    Paris! In Paris leben! Flory hatte ziemlich weit danebengeschossen, als er diese endlosen Gespräche mit bärtigen Künstlern unter grünen Platanen ausmalte. Elizabeths Leben in Paris war nicht ganz so gewesen.
    Ihre Mutter hatte am Montparnasse ein Atelier gemietet und war sofort in einen Zustand von unordentlichem, verkommenem Müßiggang verfallen. Sie war so töricht im Umgang mit Geld, daß ihr Einkommen ihre Ausgaben nicht annähernd deckte, und mehrere Monate lang bekam Elizabeth nicht einmal genug zu essen. Dann fand sie Arbeit als Hauslehr erin für Englisch bei der Familie eines französischen Bankiers. Man nannte sie › notre miis anglaise‹. Der Bankier wohnte im zwölften Arrondissement, ein weiter Weg vom Montparnasse, und Elizabeth hatte in einer näher gelegenen Pension ein Zimmer genommen. Es war ein schmales Haus mit gelber Fassade in einer Nebenstraße mit dem Blick auf den Laden eines Geflügelhändlers, vor dem im allgemeinen die stinkenden Kadaver von Wildschweinen hingen, und jeden Morgen kamen alte Herren wie klapperige alte Satyre, die lange und liebevoll daran schnupperten. Neben dem Geflügelhändler ein fliegenbeschmutztes Café mit dem Schild »Café de l’Amitié. Bock formidable«. Wie Elizabeth diese Pension gehaßt hatte! Die Besitzerin war eine schwarzgekleidete alte Schnüfflerin, die ihr Leben damit verbrachte, auf Zehenspitzen die Treppe hinauf- und hinunterzugehen in der Hoffnung, die Mieter beim Waschen ihrer Strümpfe im Waschbecken zu ertappen. Die Mieterinnen, scharfzüngige, gallige Witwen, liefen wie die Spatzen hinter einer Brotkruste dem einzigen Mann im Hause hinterher, einem milden, kahlköpfigen Geschöpf, das in La Samaritaine arbeitete. Bei den Mahlzeiten überwachte jede die Teller der anderen, um zu sehen, wer die größte Portion bekommen hatte. Das Badezimmer war eine dunkle Höhle mit leprösen Wänden und einem wackeligen, grünspanbedeckten Badeofen, der fünf Zentimeter hoch lauwarmes Wasser in die Wanne spuckte und dann störrisch aufhörte. Der Bankier, dessen Kinder Elizabeth unterrichtete, war ein fünfzigjähriger Mann mit eine m dicken, verlebten Gesicht und einem kahlen, dunkelgelben Schädel, der an ein Straußenei erinnerte. Am zweiten Tag nach ihrer Ankunft kam er in das Schulzimmer der Kinder, setzte sich neben Elizabeth und kniff sie sofort in den Ellbogen. Am dritten Tag kniff er sie in die Wade, am vierten in die Kniekehle, am fünften etwas oberhalb. Von da an gab es jeden Nachmittag ein stummes Ringen zwischen ihnen, und sie kämpfte und kämpfte, die Hand unter dem Tisch, um diese Frettchenhand abzuwehren.
    Es war eine gemeine, garstige Existenz. Sie erreichte sogar Tiefen von ›Garstigkeit‹, von denen Elizabeth bisher nichts geahnt hatte. Aber was sie am meisten deprimierte, ihr am stärksten das Gefühl gab, daß sie in eine furchtbare Unterwelt absinke, war das Atelier ihrer Mutter. Mrs. Lackersteen gehörte zu den Leuten, die ohne Dienstboten gänzlich zusammenbrechen. Sie lebte in einem ruhelosen Alptraum zwischen Kunstmalerei und Haushalt und arbeitete an keinem von beiden. In unregelmäßigen Abständen ging sie in eine ›Schule‹, wo sie graue Stilleben malte unter der Anleitung eines Meisters, dessen Technik auf schmutzigen Pinseln beruhte; im übrigen murkste sie zu Hause elend mit Teekannen und Bratpfannen herum. Der Zustand ihres Ateliers war für Elizabeth mehr als deprimierend ; er war böse, satanisch. Es war ein kalter, verstaubter Schweinestall, in dem der Fußboden mit Büchern und Zeitungen bedeckt war, Generationen von Kochtöpfen auf dem verrosteten Gasherd in ihrem Fett schlummerten, wo das Bett vor dem Nachmittag nicht gema cht wurde und überall - an jedem denkbaren Platz, wo man darauftrat oder sie umwarf, Dosen mit farbschmutzigem Terpentin und halbvolle Kannen mit kaltem schwarzem Tee herumstanden. Wenn man von einem Sessel ein Kissen aufhob, fand man darunter einen Teller mit den Überresten eines pochierten Eis. Sobald Elizabeth zur Tür hereintrat, pflegte sie herauszuplatzen:
    »O Mutter, liebste Mutter, wie kannst du nur? Schau doch, wie dieses Zimmer aussieht! Es ist einfach schrecklich, so zu leben!«
    »Das Zimmer, Liebes? Was ist damit? Ist es unordentlich?« »Unordentlich! Mutter, mußt du denn diesen Teller mit
    Haferbrei mitten auf dem Bett stehenlassen? Und

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