orwell,_george_-_tage_in_burma
Basars. Eigentlich hatte Elizabeth sich gewünscht, direkt zum Club zurückzugehen, aber das europäische Aussehen von Li Yeiks Ladenfront - das Schaufenster war voll von Lancaster-Baumwollhemden und fas t unglaublich billigen deutschen Uhren tröstete sie etwas nach der Barbarei des Basars. Sie wollten gerade die Stufen hinaufgehen, als ein schlanker zwanzigjähriger Jüngling - abscheulich angezogen in einem Longyi, einem blauen Kricket- Blazer und leuchtend gelben Schuhen, das Haar gescheitelt und nach ›ingaleik‹- Mode pomadisiert - sich aus der Menge löste und hinter ihnen her kam. Er begrüßte Flory mit einer ungeschickten kleinen Bewegung, als müßte er sich beherrschen, sich nicht zu verbeugen.
»Was ist?« fragte Flory.
»Brief, Sir.« Er zog einen schmuddeligen Briefumschlag heraus.
»Würden Sie mich entschuldigen?« sagte Flory zu Elizabeth und öffnete den Brief. Er war von Ma Hla May - oder vielmehr, er war für sie geschrieben, und sie hatte ihn mit einem Kreuz unterzeichnet - und verlangte in unbestimmt drohendem Ton fünfzig Rupien.
Flory zog den Jungen beiseite. »Du sprichst englisch? Sag Ma Hla May, ich werde später darauf antworten. Und sag ihr, wenn sie mich zu erpressen versucht, wird sie keinen Pice mehr bekommen. Hast du verstanden?«
»Ja, Sir.«
»Und jetzt geh. Untersteh dich, mir zu folgen, sonst gibt es Ärger.«
»Ja, Sir.«
»Ein Schreiber, der eine Stellung sucht«, erklärte Flory Elizabeth, während sie die Stufen hinaufgingen. »Sie belästigen einen immerfort.« Und er überlegte sich, daß der Ton des Briefes merkwürdig war, denn er hatte nicht erwartet, daß Ma Hla May so bald mit ihren Erpressungen anfangen würde; aber er hatte im Augenblick keine Zeit, darüber nachzudenken.
Sie gingen in den Laden, der nach der Helligkeit draußen dunkel erschien. Li Yeik, der rauchend zwischen seinen Warenkörben saß - einen Ladentisch gab es nicht - , kam eifrig herbeigehumpelt, als er sah, wer hereingekommen war. Flory gehörte zu seinen Freunden. Er war ein alter Mann mit kr ummen Knien, in Blau gekleidet, das Haar zu einem Zopf geflochten; sein gelbes Gesicht hatte kein Kinn, man sah nur die Backenknochen - wie ein wohlwollender Schädel. Er begrüßte Flory mit nasalen Schreien, die Burmanisch sein sollten, und humpelte sofort in den Hintergrund des Ladens, um nach Erfrischungen zu rufen. Ein kühler, süßlicher Opiumgeruch lag in der Luft. Lange rote Papierstreifen mit schwarzer Schrift waren an die Wände geklebt, und auf der einen Seite stand ein kleiner Altar mit einem Porträt von zwei heiter aussehenden Leuten in gestickten Gewändern, und davor glühten zwei Weihrauchstäbchen. Zwei Chinesinnen, eine alte und ein Mädchen, saßen auf einer Matte und rollten Zigaretten aus Maisstroh und Tabak, der wie kleingehacktes Roßhaar aussah. Sie trugen schwarzseidene Hosen, und ihre Füße mit hervorquellendem, geschwollenem Spann waren in rothackige hölzerne Pantoffeln gezwängt, die nicht größer waren als die einer Puppe. Ein nacktes Kind kroch langsam wie ein großer gelber Frosch am Fußboden herum.
»Sehen Sie sich die Füße von diesen Frauen an!« flüsterte Elizabeth, sobald Li Yeik ihnen den Rücken gedreht hatte. »Ist das nicht einfach grauenhaft? Was machen sie, daß sie so werden? Das ist doch bestimmt nicht natürlich?«
»Nein, sie deformieren sie künstlich. In China wird es, glaub ich, abgeschafft, aber hier sind die Leute rückständig. Der Zopf des alten Li Yeik ist auch so ein Anachronismus. Nach chinesischen Begriffen sind diese kleinen Füße schön.«
»Schön! Sie sind so entsetzlich, daß ich kaum hinsehen kann. Diese Leute müssen absolute Wilde sein!«
»O nein! Sie sind hochzivilisiert, meiner Ansicht nach zivilisierter als wir. Schönheit ist eine Angelegenheit des Geschmackes. In diesem Lande gibt es ein Volk, das sich Palaungs nennt, dort bewund ert man bei Frauen lange Hälse. Die Mädchen tragen breite Messingringe, um den Hals zu strecken, und sie legen immer mehr davon an, bis sie schließlich Hälse wie Giraffen haben. Das ist nicht verrückter als Tournüren oder Krinolinen.«
In diesem Augenblick kam Li Yeik mit zwei dicken, rundgesichtigen burmanischen Mädchen zurück, offensichtlich Schwestern, die kichernd zwischen sich zwei Stühle und eine blaue chinesische Teekanne trugen, die an die zwei Liter Inhalt faßte. Die beiden Mädchen waren Li Yeiks Ko nkubinen oder waren es gewesen. Der alte Mann hatte eine Blechdose mit
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