Oscar
herumtobte. Die mit warmer Luft gefüllte Decke war nötig, weil der Körper nicht mehr genügend eigene Wärme erzeugen konnte. Saul war kaum mehr zu erkennen, doch der Name an der Tür bestätigte seine Identität. Als ich zum Bett trat, sah ich einen an seinem Hals angebrachten dreifachen Katheter. Am Bett stand ein Dialysegerät. Für einen Patienten, der nie Probleme mit den Nieren gehabt hatte, war das ein verhängnisvolles Zeichen.
»Ich bin Dr.Dosa«, stellte ich mich der Schwester vor, die in der Ecke an einem Computerbildschirm stand und sich Notizen machte, »Sauls Arzt drüben im Pflegeheim.« Sie nickte mir kurz zu, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte.
»Wie geht es ihm?«, fragte ich nach einer Weile.
»Nicht gut. Obwohl wir Noradrenalin und Dopamin verabreichen, ist der Blutdruck ausgesprochen niedrig. Die Nieren versagen, und die Ärzte überlegen, ob wir mit einer Dialyse anfangen sollten.« Die Schwester zuckte die Achseln. »Wir tun alles, was wir können.«
Ich warf einen Blick auf die Infusionsflaschen, die an dem Ständer neben dem Bett hingen. Momentan bekam Saul drei Antibiotika mit jeweils verschiedenen Eigenschaften: Linezolid, Vancomycin und Ceftazidim. Offenbar hatte es keines dieser Medikamente geschafft, die im Blutkreislauf befindlichen Bakterien zu bekämpfen. Wann die Infektion siegte, war nur eine Frage der Zeit.
»Heute Nachmittag kommt jemand von der Kardiologie, um eine TEE zu machen«, sagte die Schwester und hob den Blick von ihrem Bildschirm. TEE ist die Abkürzung für Transösophageale Echokardiographie, eine Ultraschalluntersuchung, bei der ein Endoskop in die Speiseröhre eingeführt wird. »Man vermutet, dass die Herzklappen mit Bakterien besiedelt sind.«
Ich schüttelte den Kopf. Wozu war dies alles nötig? Theoretisch war die Verlegung ins Krankenhaus sinnvoll gewesen, aber die Entwicklung hatte alle guten Absichten zunichtegemacht. Schon nach kurzer Zeit war Sauls Blutdruck stark abgesunken, und er hatte Atemprobleme bekommen. Die Angehörigen waren darüber informiert worden, dass es nötig war, zur Unterstützung der Atmung einen Schlauch in die Lunge zu legen.
Als ich ihn nun betrachtete, stellte ich mir vor, wie man ihm den nächsten Schlauch in den Hals schieben würde, um festzustellen, ob seine Herzklappen bakteriell befallen waren. Selbst wenn diese Untersuchung erfolgreich war, würde das nichts ändern. In seinem derzeitigen Zustand war an eine Operation überhaupt nicht zu denken.
»Sind Sie sicher, dass diese ganzen Maßnahmen sinnvoll sind?«, fragte ich.
Die Schwester zuckte wieder die Achseln. »Sprechen Sie mit den zuständigen Ärzten. Ich persönlich glaube das nicht, aber auf mich hört ja niemand.«
Ich lächelte resigniert. »Auf mich auch nicht.«
Die Situation hatte längst eine Eigendynamik angenommen. Inzwischen machte sich niemand mehr die Mühe zu hinterfragen, ob irgendetwas Sinn ergab. Der Patient atmete so schwer, dass man ihn intubiert hatte. Sein Blutdruck war so niedrig, dass man ihn medikamentös unterstützte. Die Nieren versagten allmählich, weshalb man sich überlegte, eine Dialyse durchzuführen. Jede Behandlung, jede Prozedur, jede Untersuchung war im Kontext der neuesten Informationen sinnvoll, aber was fehlte, war der Blick auf den Gesamtzusammenhang. Statt zu überlegen, warum etwas geschah, hieß es: volle Kraft voraus! Ich überließ Saul der Obhut der Krankenschwester und begab mich auf die Suche nach einem Kollegen von der Intensivstation.
»Werden die Maßnahmen etwas bewirken?«, fragte ich den Arzt, den ich fand.
»Wahrscheinlich nicht«, lautete die Antwort. »Ich glaube, er liegt im Sterben, aber seine Angehörigen wollen es so.«
Ich ging zum Stationszimmer, um von dort aus Sauls Tochter anzurufen. Sie hob sofort ab.
»Die Ärzte hier wollen Ihrem Vater eine Sonde in den Hals schieben, um festzustellen, ob seine Herzklappen infiziert sind«, erklärte ich ihr. »Aber falls sich das bestätigen sollte, wird der Zustand Ihres Vaters es wohl nicht zulassen, irgendetwas dagegen zu unternehmen.«
»Doktor, er wollte, dass alles für ihn getan wird.«
»Aber die Lage hat sich geändert, Barbara.«
»Alles, Doktor. Alles.«
Der Anruf erreichte mich zu Hause kurz nach Mitternacht. Ich richtete mich auf, rieb mir den Schlaf aus den Augen und griff zum Hörer.
Ein offenkundig jüngerer Kollege war am Telefon. »Tut mir leid, dass ich Sie störe«, sagte er, »aber ich wollte Ihnen mitteilen, dass
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