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Oscar

Oscar

Titel: Oscar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Dosa
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Ihr Patient Saul Strahan heute Abend verstorben ist. Die Reanimation war erfolglos. Wir haben alles getan, was wir konnten.«
    »Haben Sie schon die Angehörigen informiert?«, fragte ich.
    »Ich habe seine Tochter angerufen. Die hat es sehr schwer genommen, aber inzwischen ist sie bei ihm.«
    Ich trug ihm auf, mein Beileid zu übermitteln, und dankte ihm, bevor ich auflegte. Dann blickte ich in die Dunkelheit und verabschiedete mich innerlich von Saul. Dabei dachte ich auch an seine Tochter. Ob sie wohl eine Chance gehabt hatte, ihm noch Adieu zu sagen? Wahrscheinlich nicht. Ob der Pfarrer schon gekommen war?
    »Was ist denn?«, fragte meine Frau, halb im Schlaf.
    »Ein Patient ist gerade gestorben.«
    Sie murmelte etwas Unverständliches. In meinem Fachgebiet kommen solche Anrufe recht häufig vor.
    Ich legte mich wieder hin, hatte jedoch Schwierigkeiten einzuschlafen. Nach einer Weile kam mir Oscar in den Sinn, und ich stellte mir vor, wie er in Sauls Zimmer auf dem Bett lag und aus dem Fenster blickte, vielleicht in Richtung des Krankenhauses gegenüber. Ob er wohl spürte, was geschehen war? Bestimmt hätte er neben Saul gelegen, wenn der im Heim geblieben wäre.
    Am Ende hatten alle Untersuchungen und Behandlungsversuche überhaupt nichts mehr bewirkt. Es war einfach an der Zeit gewesen. Nicht immer, aber doch in vielen Fällen haben wir einen Einfluss darauf, wie wir sterben, und manche Arten zu sterben kommen uns besser vor als andere. Ich sagte mir, dass Saul nun zumindest seinen Frieden gefunden hatte. Er war weitergezogen, was immer das bedeuten mochte. Ich hätte ihm nur einen leichteren Übergang gewünscht.

[home]
    Zwei Dinge auf der Welt sind ästhetisch
vollkommen: die Uhr und die Katze.
    Alain (Emile Chartier)
    19
    S elbst wenn Katzen tatsächlich neun Leben haben sollten, wir haben nur eines, und wir haben alle furchtbare Angst davor, über dessen Ende zu sprechen.
    »Niemand spricht gern über den Tod«, sagte Cyndy Vi-veiros und sah mich über den Tisch hinweg an. »Schon das Wort allein klingt wie etwas, das man unter höflichen Leuten nicht aussprechen darf.«
    Ich wusste, was sie meinte.
    »In den Wochen vor dem Ende haben nur sehr wenige Leute …« Sie stockte. »Wissen Sie, mir ist schon klar, wie schwer es ist, den eigenen Ängsten ins Gesicht zu schauen, aber in der Zeit, bevor meine Mutter starb, war ich weitgehend allein. Freilich, die Schwestern und Helferinnen waren großartig, da kann ich mich wirklich nicht beklagen, aber wenn ihre Schicht zu Ende war, sind sie nach Hause gegangen.«
    Cyndy schüttelte nachdenklich den Kopf. »Dr.Dosa, Sie haben mich hergebeten, um mit mir über Oscar zu sprechen. Also kommen wir gleich zum Thema. Ich bin Oscar dankbar für das, was er für meine Mutter getan hat, aber er war auch für mich sehr wichtig. In den letzten Lebenswochen meiner Mutter ist er immer wieder in ihr Zimmer gekommen, und das fand ich unglaublich tröstlich.«
    »Würden Sie sogar sagen, Oscar ist für Sie genauso da gewesen wie für Ihre Mutter?«, fragte ich, weil mich das an die Bemerkung erinnerte, mit der Jack McCullough sich von mir verabschiedet hatte.
    »Auf jeden Fall glaube ich, dass er auch für mich da war«, erwiderte Cyndy. »Eigentlich bin ich mir dessen sogar sicher.«
    Sie schwieg einen Augenblick, bevor sie mit ihrem Bericht begann.
    »Drei lange Wochen hatte ich fast meine ganze freie Zeit am Bett meiner Mutter gesessen. Ihr Zimmer war zu meiner Welt geworden. Mitten in der Nacht waren ihr Atmen und das ständige Summen des Sauerstoffgeräts die einzigen Geräusche. Wenn ich sie betrachtete, dachte ich daran, wie das Leben in diesen Wochen aus ihr schwand wie eine sich langsam zurückziehende Flut. Aber obwohl ich wusste, dass dies die letzten Tage waren, hatte ich manchmal das Gefühl, diese Zeit würde niemals enden.
    Ich weiß noch, wie ich an dem Tag, als sie starb, immer wieder auf den Wecker auf dem Nachttisch blickte und mir die Augen rieb. Auch wenn ich noch so müde war, ich wollte nicht nach Hause gehen. Während der Minutenzeiger sich langsam weiterschleppte, habe ich mir eingeredet, nun werde es bald geschehen: ein letzter Atemzug und dann Stille. Zumindest hatten die Hospizschwestern mich darauf vorbereitet, dass es so geschehen würde. Doch nachdem ich tagelang beobachtet hatte, wie die Brust meiner Mutter sich rhythmisch hob und senkte, war ich mir nicht mehr sicher, ob das Ende jemals kommen würde, so paradox diese Vorstellung auch

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