Osiris Ritual
Mal, überlegte
Newbury, war wohl nicht genug Zeit gewesen, um den Toten ebenso zeremoniell
abzulegen wie Winthrop.
Newburys Zorn erwachte. Die Person auf der anderen Seite â es konnte
nur Ashford sein â schritt hin und her. Nach der kurzen ersten Begegnung mit
dem Mann wusste er, dass der Abtrünnige über groÃe Kräfte verfügte.
Andererseits hatte Newbury das Ãberraschungsmoment auf seiner Seite.
Hoffentlich war das auch genug. Er hatte keine Ahnung, mit welchen Mitteln Dr. Fabian
Ashfords wiedererweckten Körper verstärkt hatte, aber das würde er ja gleich
herausfinden.
Leise nahm Newbury den Hut ab und legte ihn neben sich auf den
Boden. Er drehte den Kopf und lockerte die Schultermuskeln. Dann, bevor er es
sich noch einmal anders überlegen konnte, stieà er sich von der Wand ab,
stürzte in den Salon und wollte Ashford in einem Kampf stellen, bei dem es
höchstwahrscheinlich um Leben und Tod gehen würde.
14
Wie zu dieser Nachmittagsstunde üblich, herrschte auf den
StraÃen Sohos dichter Verkehr. Veronica ging von der Bushaltestelle zum Archibald
Theatre. An diesem Tag trug sie eine elegante malvenfarbene Jacke, einen
passenden Hosenrock und eine weiÃe Bluse. Die Haare hatte sie unter einem
kleinen malvenfarbenen Hut festgesteckt, der ihr Kostüm vervollständigte. Sie
hatte die Angehörigen von Miss Rebecca Irlam besucht, der zuletzt als vermisst
gemeldeten Frau, und zwei Stunden lang die Mutter getröstet und nach
Informationen geforscht, die ihr helfen könnten, den Entführer und das Opfer zu
finden. Wie nicht anders zu erwarten, hatte sie nicht viele Einzelheiten
erfahren. Alles, was die Mutter ihr erzählte, passte jedoch zu dem
Polizeibericht, dessen Kopie Veronica sich mit der Hilfe eines jungen
Schützlings von Sir Charles beschafft hatte. Manchmal war es durchaus von
Vorteil, eine attraktive junge Frau zu sein.
Die Vermisste hatte am vergangenen Abend die Vorstellung des
geheimnisvollen Alfonso besucht, mit ihrem Verlobten zwei Plätze im Parkett
belegt und die Darbietung genossen. Das letzte Mal hatte man sie gesehen, als
sie sich für das Finale des Auftritts als Freiwillige gemeldet hatte. Sie war
auf die Bühne gestiegen, und der Zauberkünstler hatte sie verschwinden lassen.
Alles entsprach dem, was Veronica und Newbury Anfang der Woche selbst
beobachtet hatten. Allerdings gab es einen gravierenden Unterschied. Dieses Mal
war die junge Frau nach der Vorstellung nicht nach Hause zurückgekehrt. Ihre
Familie und ihr Verlobter hatten sie stundenlang voller Sorge gesucht, aber
keine Spur von ihr finden können. SchlieÃlich hatten sie die Polizei gerufen,
die Alfonso zum Verhör mitgenommen hatte. Eine ï¬Ã¼chtige Durchsuchung des
Theaters hatte jedoch keinerlei Spuren ergeben. Alfonso hatte den Beamten von
Scotland Yard versichert, er sorge stets dafür, dass die betreffenden Frauen
mit einer Droschke nach Hause fahren konnten, wie er es auch Veronica und
Newbury zuvor schon erklärt hatte. Ohne Beweise konnte man ihm nichts anhaben.
Veronica sah die Sache dagegen etwas anders. Sie vermutete schon
seit geraumer Zeit, dass es zwischen den Vorgängen während der Darbietung und
dem Verschwinden von Miss Rebecca Irlam sowie einer Reihe anderer Frauen in den
Home Counties, in denen Alfonso als Zauberkünstler gastiert hatte, eine
Verbindung gab.
Veronica war allein nach Soho gefahren, obwohl Sir Maurice sich
eindringlich dagegen ausgesprochen hatte. Ihr war klar, dass sie sich auf ein
gefährliches Spiel einlieà und zumindest riskierte, ihre wahre Identität zu
enthüllen. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, Sir Maurice die Wahrheit
sagen zu können. Auch sie diente Ihrer Majestät, der Königin Victoria, als
Agentin und war natürlich fähig, einen Fall auf eigene Faust zu lösen. Die
Risiken waren ihr durchaus bewusst, und sie hielt es nicht für übermäÃig
gefährlich, Alfonso allein zur Rede zu stellen. Falls er Schwierigkeiten
machte, besaà sie auf jeden Fall die nötigen Mittel und Wege, ihn auszuschalten
und die Polizei zu rufen.
Es kam natürlich nicht infrage, all das Sir
Maurice zu erzählen. Ihre Majestät hatte es ausdrücklich untersagt, und
auÃerdem konnte sie nicht einmal behaupten, ihre Pï¬ichten der Krone gegenüber
in vollem Umfang zu erfüllen. Immerhin bestand ihre wichtigste Aufgabe darin,
Sir Maurice im Auge
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