Osterfeuer (German Edition)
halten.
Heute schien er sich sogar die Haare gewaschen zu haben, denn seine schulterlange
Mähne hing nicht wie sonst in fettigen Strähnen herunter, sondern sah glatt und
glänzend aus. Das abgewetzte schwarze Jackett und die Hose dagegen, in denen sein
dürrer, langer Körper steckte, glänzten nicht vor Sauberkeit. Aber er hatte sich
zur Feier des Tages eine verknautschte, rote Fliege mit weißen Punkten um den fleckigen
Hemdkragen gebunden, die ihn allerdings nicht wie einen eleganten Partylöwen sondern
eher wie einen traurigen Zirkusclown aussehen ließ.
»Wenn du etwas essen möchtest: Es
gibt frischen Platenkuchen!«, forderte Trude ihn auf. Krischan grinste breit und
schüttelte den Kopf: »Vielen Dank! Aber das bisschen was ich esse, kann ich auch
trinken! Meine Figur muss ja …«
Der Schluss des Satzes ging in einer
lauten Mikrofon-ansage unter.
»Liebe Leute! Bevor wir zu einem
weiteren Höhepunkt dieses glanzvollen Abends kommen – hausgebackene Platenkuchen
und Pharisäer – noch ein Höhepunkt zuvor: Damenwahl!«
Der Discjockey arbeitete alltags
als Marktverkäufer für einen Fischhändler und das Niveau seiner Ansagen und Witze,
wie auch die Musikauswahl, fand Trude zum Teil ziemlich peinlich, doch die meisten
hier ließen sich davon nicht stören.
»Und für die Damen wollen wir mal
so was richtig Schmusiges auflegen – hier kommt Barry White – Rock m e Baby!«
So wie der Typ das Wort Damen aussprach,
war schwer zu beurteilen, ob es ehrenvoll oder eher abwertend war, so bezeichnet
zu werden. Nicht wenige der so Angesprochenen erhoben sich jedenfalls, um den Tanzpartner
ihrer Wahl aufzufordern. Krischan sah Trude mit einem erwartungsvollen Lächeln an,
doch sie bedeutete ihm, dass sie nicht vorhatte, ihn um einen Tanz zu bitten. Sie
sah, dass Franz, der Gastgeber, von mindestens vier Bewerberinnen umringt war. Mit
einer charmanten Geste gegenüber den Abgewiesenen entschied er sich für Margot,
die das elegante, enge Strickkleid vom Vortag trug und ihre strenge Brille abgelegt
hatte. Trude schämte sich für den kleinen Stich, der ihr bei diesem Anblick in den
Magen fuhr und da sie ohnehin nicht tanzen wollte, schlüpfte sie an Krischan vorbei
aus dem mittlerweile tropischen Klima im Zelt nach draußen, um einen Moment frische
Luft zu schnappen.
»Na, meine Süße? Auch keine Lust
auf die altbekannte Herrenriege da drinnen?«
Mit einem netten Lächeln schaute
die Frau, die rauchend vor dem Eingang stand, auf Trude, als diese sich zu ihr gesellte.
»Du weißt ja, ich habs nicht so
mit dem Tanzen und die Luft im Zelt ist inzwischen zum Schneiden …«
»Deswegen rauche ich schon hier
draußen – hast du das wohlwollend registriert?«
»Aber natürlich, Babsi!«
Babs war die erste Freundin, die
Trude in Warstedt gefunden hatte. Sie war ein paar Jahre älter und besaß eine kleine
aber feine Boutique im Städtchen, Treffpunkt für die Damen mit exklusivem Geschmack
und entsprechendem Portemonnaie. Aus den Plaudereien ihrer Kundinnen kannte sie
alle Warstedter Liebes- und Lebensverhältnisse in- und auswendig, nur ihr eigenes
hielt sie strikt unter Verschluss. Da sie eine sehr schöne Frau war, geschieden,
lebenslustig und mit einem lockeren Mundwerk, regte sie immer wieder die Fantasie
der Kleinstadtbürger an, bei manchen stand sie sogar in denkbar schlechtem Ruf,
was Babs aber eher amüsierte als störte. Trude mochte ihre direkte Art und dass
sie bei ihr kein Blatt vor den Mund nehmen brauchte, wenn ihr der Kleinstadtmief
mal wieder bis zum Halse reichte. In ihrem roten Kleid mit dem weiten Glockenrock,
dem viereckigen Halsausschnitt und den eng anliegenden Ärmeln, das hervorragend
zu ihrem dunklen, hochgesteckten Haar passte, sah Babs aus wie eine Filmheldin aus
einem Vierziger Jahre-Streifen.
»Hat dir heute schon jemand gesagt,
dass du wieder fantastisch aussiehst?«
»Danke Trude, aber das kann einer
Frau um fünfzig gar nicht oft genug gesagt werden! Und wenn ich deine Berliner Freundinnen
sehe, muss ich wieder einmal feststellen, dass wir hier doch richtige Provinzmäuse
sind. Die haben so einen ganz selbstverständlichen Chic, so individuell und weltläufig
– wenn ich auch der großen Blonden das edle Strickkleid ein, zwei Nummern größer
empfohlen hätte …«
Babs verzog leicht spöttisch ihren
wohlgeformten Mund. Auf ihren gleichmäßigen Gesichtszügen lag immer ein Anflug von
Müdigkeit und Erschöpfung, was wohl ihr Tribut an das Alter war und von den
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