Ostfriesenblut
weiß. Ich frag mich nur gerade, was Sie mit dem Laptop meiner Oma machen wollen. Kommen Sie mir jetzt bloß nicht damit, dass sie ihre E-Bay-Geschäfte nicht versteuert hat. Das macht doch kein Mensch.«
»Doch«, sagte Ann Kathrin Klaasen, »die Ehrlichen schon. Aber ich bin nicht von der Steuerfahndung.«
Er schrieb ihr das Passwort seiner Oma auf. Es hieß »Bastian«.
Ann Kathrin Klaasen hatte rote Wangen und fiebrige Augen, als sie Weller traf. Sie wedelte sich mit dem Laptop ein bisschen Luft zu. Für ihn sah sie aus, als hätte sie gerade einen Schnaps getrunken. Das war aber gar nicht so, in Wirklichkeit hatte sie eher einen nötig.
Sie wollte sich mit diesem Fall gar nicht länger beschäftigen, sondern zurück zu ihrem Sohn. Der war aber nun schon bei seinem Vater, und – was schlimmer war – bei Susanne Möninghoff. Ann Kathrin wusste nicht genau, wie der Tag weitergehen sollte. Sie fand, dass sie als Mutter sich jetzt zunächst um ihr Kind kümmern sollte, konnte sich aber nicht vorstellen, das gemeinsam mit Hero zu tun und schon gar nicht mit Frau Möninghoff. Ein bisschen schob sie Hero die Schuld für die ganze Sache zu. Warum gestattete er, dass sein Sohn am FKK -Strand fotografierte?
Weller hatte bei den Nachbarn nicht viel herausgefunden. Niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Nur in einem waren sich alle einig: Frau Orthner war eine sehr herrische Frau, gewohnt, dass alles nach ihrem Willen lief. Sie ließ sich nichts gefallen. Mehrfach hatte sie die Polizei gerufen, weil ihr eine
Geburtstagsparty zu laut war oder beim Grillfest der Qualm der Holzkohle durch ihr Wohnzimmerfenster in die Wohnung gezogen war. Ihr Enkel kam sie wirklich regelmäßig besuchen. Niemand hatte ihre Schreie gehört. Weller folgerte daraus, dass es gar keine Schreie gegeben hatte.
Ein Nachbar hatte erzählt, die gute Frau sei manchmal ausgeflippt. Er hatte angeblich einen ihrer Anfälle im Supermarkt miterlebt. Weil in ihrem Kartoffelnetz eine faule Kartoffel lag, sei sie völlig ausgerastet, hätte herumgeschrien und den Geschäftsführer verlangt.
Weller nahm Ann Kathrin in den Arm und schlenderte geradezu undienstlich mit ihr zum Auto zurück. Er machte im Gegensatz zu ihr ein paar tänzelnde Schritte und sagte: »Ann Kathrin, ich glaube, wir haben den Fall gelöst. Du kannst die Geschichte vergessen.«
Er flötete es ein bisschen zu sehr, sodass sie misstrauisch wurde. »Wie, gelöst?«
»Na ja, ich war bei ihrem Therapeuten. Diesem Dr.Andreas Blankenheim.«
»Und?«
»Er ist sich völlig sicher, dass Frau Kühlberg es getan hat. Sie muss ihre Mutter entsetzlich gehasst haben. Ihre Kindheit hat sie in Eiseskälte verbracht. Er hat ihr Elternhaus als eine Art Kühlschrank mit Kasernenhofregeln beschrieben. Er sagt, es sei ein Wunder, dass sie die Frau nicht längst getötet habe. In gewisser Weise sei das Ganze ein Erfolg seiner Therapie … sagt er zumindest. Die Frau hat praktisch das Leben ihrer Tochter zerstört, durch eine irre strenge Erziehung. Sie wollte den Willen des Kindes brechen.
Kinderwille ist Kälberdreck
muss einer ihrer Lieblingssätze gewesen sein. Er hat mir von Ulrike Kühlbergs Mordphantasien erzählt. Die ersten Jahre in der Therapie ging es nur darum, dass sie sich dafür schuldig fühlte, was sie sich für Sachen ausgedacht hatte, um ihre Mutter umzubringen.
Deshalb traute sie sich auch irgendwann nicht mehr vor die Tür, sie glaubte, die Menschen könnten ihr ansehen, was sie für Gedanken hatte. Sie wollte sie pfählen. Verbrennen. Häuten.« Weller winkte ab. »Ach, was hat der alles für einen Schweinkram erzählt.«
Ann Kathrin Klaasen blieb stehen. »Das hat der dir einfach so erzählt?«
»Ja, wir waren zusammen auf dem Gymnasium. Er war so ein kleiner, dicker Junge, der bei den Mädchen nie einen Stich gekriegt hat … « Weller schluckte, schielte zu Ann Kathrin und fragte sich, ob er mit seiner lockeren Redensweise jetzt nicht voll danebenlag. Dann fuhr er fort: »Also, ich meine, er hat nie eine Schnitte gekriegt, weißt du. Bis er sich dann darauf spezialisiert hat, Mädchen zu trösten, die Liebeskummer hatten. Darin war er total erfolgreich. So hat praktisch jeder irgendwann mal seine Ex an ihn abgetreten. Der war so eine Art Abstauber, weißt du … « Er lachte, spürte aber, dass seine Worte Ann Kathrin missfielen. Er wusste nicht, wie er aus der Situation herauskommen sollte, und hatte das bestürzende Gefühl, sich immer tiefer hineinzureden.
»Ach komm,
Weitere Kostenlose Bücher