Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
nicht gesehen werden will«, räumte Maiwald ein. »Unser Weg ist hier allerdings zu Ende.« Er deutete auf die verschlossene Pforte. »Wir werden einfach ein paar Leute herschicken, die die Hütte und das Gelände überprüfen.«
»Das dauert zu lange«, wandte Pia ein und starrte auf das Schloss. Sie war noch nicht bereit, unverrichteter Dinge abzuziehen. Sie konnten die Hütte ja sogar schon sehen! »Moment mal«, sagte sie und zog an dem Schloss. Es gab nach. Jemand hatte das plastikummantelte Stahlseil durchtrennt, sodass das Tor nach einem leichten Stoß ein Stückchen aufschwang. »Bitte sehr, weiter geht’s.«
»Warte, Pia. Dass das Schloss geknackt wurde, ist ein Hinweis darauf, dass wir richtig liegen. Wenn wir weitergehen und Asmussen sich hier tatsächlich versteckt, bemerkt er uns womöglich und haut ab. Und in dem Gelände kriegen wir ihn zu zweit nie zu fassen … Das schreit nach einem Trupp Indianer oder einem mobilen Einsatzkommando der Polizei.«
Pia überlegte. Sie hatte keine Lust, sich mit einer unnötigen Mobilmachung von Einsatzkräften lächerlich zu machen. Außerdem wollte sie sofort wissen, ob an ihrer Annahme etwas dran war. Der Ort war ideal, vollkommen abgeschieden, aber nah genug an Asmussens Wohnmobil gelegen, um ihn mit dem Fahrrad zu erreichen. »Das aufgebrochene Schloss reicht als Hinweis nicht aus«, sagte sie eindringlich. »Wir brauchen einen Beweis dafür, das Asmussen sich hier versteckt hält.«
Das Tor quietschte leise in den Angeln, als sie es einladend für Maiwald aufstieß. Sie mussten die Hütte möglichst ungesehen erreichen. Auf dem direkten Weg wären sie schon von Weitem zu sehen, und Asmussen wäre vorgewarnt. Sie hielten sich rechts, wo die Bäume eng beieinander standen.
»Okay, ein kurzer Blick auf die Hütte und dann zurück«, gab Maiwald nach.
Auf dem Weg durch das Unterholz wurde der Untergrund morastig. Stellenweise war der Boden so weich, dass Pia mit ihren Stiefeln bis zu den Knöcheln einsackte. Ihr linker Fuß war nass, aber sie wusste, dass das Gefühl der Kälte wieder vergehen würde, wenn sie in Bewegung blieb. Dornige Ranken hakten sich an ihren Hosenbeinen fest, und Zweige streiften ihr Gesicht. Maiwald folgte ihr – sie hörte ihn atmen. Es war ein mühsames Vorankommen, und der Aufwand erschien angesichts der vollkommen verlassen daliegenden Hütte lächerlich. Als sich der Wald lichtete, duckten sie sich hinter eine große Baumwurzel und sahen zu der kleinen Lichtung hinüber.
Die Außenwände der Angelhütte waren aus dunkelbraun, fast schwarz gestrichen Holzplanken, das Dach mit Bitumenpappe eingedeckt. Das Häuschen war nicht groß, es schien aus einem, höchstens zwei Zimmern zu bestehen. Auf der ihnen zugewandten Seite befand sich ein kleines Fenster direkt unter der Traufe des tief heruntergezogenen Daches; dahinter hingen vergilbte Gardinen, die die Sicht ins Innere versperrten. In einem mit Plastikplanen und Wellblech bedeckten Verschlag lag ordentlich aufgeschichtetes Brennholz, doch aus dem Schornstein stieg kein Rauch auf.
Würde es sich ein etwaiger Bewohner bei diesen Temperaturen nicht mit einem kleinen Feuerchen gemütlich machen? Andererseits, wenn man nicht bemerkt werden wollte, fror man wahrscheinlich lieber. Und Asmussen war sicherlich an Kälte gewöhnt.
»Sieht nicht unbedingt bewohnt aus«, flüsterte Maiwald.
»Was hast du erwartet? Wäsche auf der Leine?«, fragte Pia. »Lass uns die Hütte noch von vorn anschauen!«
Sie tasteten sich rückwärts, bis sie außer Sichtweite waren, und gingen dann in einem großen Bogen, bis sie die Vorderseite sehen konnten. Dort standen zwei verspakte Plastikstühle, wie man sie für drei Euro neunundneunzig in jedem Baumarkt kaufen kann. Und da war noch mehr …
»Sieh mal, die Schubkarre dort, an der rechten Seite der Hütte. Wer lässt so etwas mitten in der Landschaft stehen? Würden die Gregorians nicht alles verstauen, wenn sie ihre Hütte winterfest machen?«, flüsterte Pia aufgeregt.
»So, wie es bei ihnen zu Hause aussieht? Mit Sicherheit. Aber denkst du, dass jemand, der sich versteckt hält, alles stehen und liegen lassen würde?«, fragte Maiwald.
»So, wie es an Asmussens Bus aussah … Wir müssen noch näher ran.«
»Dann haben wir aber keine Deckung mehr«, zischte Maiwald.
Pia krauste die Stirn und dachte nach.
Maiwald starrte konzentriert auf die Hütte, als wollte er die massiven, schwarz gestrichenen Holzbretter mit Röntgenblick
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