Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
geknebelt auf dem Küchenboden. Was zum Teufel war passiert?
Die Erinnerung an Roxy kehrte zurück, daran, wie sie die Hündin hereingelassen hatte, danach eine Bewegung, dann gar nichts mehr. Die Erkenntnis, jemandem die Tür geöffnet zu haben, der ihr nichts Gutes wollte, traf sie hart. Aber dass ihre Unachtsamkeit auch Katja gefährdete, die sie immer wieder zur Vorsicht ermahnt hatte, war beinahe unerträglich. Wie hatte sie auf einen blöden Trick wie den mit dem Hund hereinfallen können? Und wen hatte sie dadurch ins Haus gelassen? Was wollte er von ihnen? Und wo war Katja?
Obwohl ihr jede Bewegung wehtat und die Drehung ihres Kopfes über eine scheinbar beachtliche Beule am Hinterkopf einen scharfen Schmerz verursachte, musste Solveigh sich ein Bild ihrer momentanen Lage verschaffen.
Sie sah die Sockelleiste der Küchenzeile, dann den unteren Teil des amerikanischen Kühlschranks, eines der verchromten Beine des Esstisches, in dem sich ihr Gesicht, mit einem Knebel im Mund und angstvoll aufgerissenen Augen, verzerrt spiegelte – und drehte sich entsetzt weg, in die andere Richtung. Nun lag sie auf dem Rücken, auf ihren gefesselten Armen und Händen. Sie wandte den Kopf zur anderen Seite, und da sah sie sie: Halb hinter dem Küchentresen verborgen, lag Katja. Soweit Solveigh es erkennen konnte, war sie nackt. Katjas kurzes Haar war nass vom Duschen. Auch ihre Freundin hatte einen Knebel im Mund. Er bestand aus einem gedrehten weißen Stoffstück. Katjas Augen waren geschlossen. Und auch sie war gefesselt worden: Wie es aussah, mit gewöhnlichem Haushaltsband, das um Hals, Arme, Körper und Beine gebunden war. Katja war verschnürt wie eine Roulade. Derjenige, der sie überfallen hatte, hatte bei Katjas Fesselung noch mehr Kunstfertigkeit an den Tag gelegt als bei ihr, Solveigh. Wo war derjenige jetzt? War er noch im Haus? Was wollte er von ihnen?
Besorgt registrierte Solveigh, dass das Gesicht ihrer Freundin aschfahl aussah. Trotz der feuchten Haare konnte sie sehen, dass Blut aus einer Wunde am Kopf auf den Granitboden sickerte. Katja brauchte dringend einen Arzt! Sie konnte doch nicht hilflos mit ansehen, wie ihre Freundin auf dem Küchenfußboden an einer Kopfverletzung starb! Doch was sollte sie tun, verschnürt und geknebelt wie sie war?
Warten, bis Hilfe kam? Nur, wer sollte kommen und, vor allem, wann? Was hatte der Angreifer bezweckt, indem er sie beide bewusstlos geschlagen, gefesselt, geknebelt und dann hier liegen gelassen hatte? Solveigh versuchte, verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen, doch die Schlussfolgerung, dass der Mann – es musste ihrer Meinung nach ein Mann sein – wiederkommen würde, um Gott weiß was zu Ende zu bringen, ließ sich nicht von der Hand weisen. Und wenn er wiederkam, konnte das nichts Gutes für sie bedeuten.
Er würde wiederkommen, dachte sie und merkte, wie ihr schlecht wurde. Nur das nicht – nicht mit einem Knebel im Mund. Dass jemand ins Haus eindrang, sie beide überwältigte und dann einfach nur bewusstlos und gefesselt liegen ließ, ergab jedenfalls keinen Sinn. Es sei denn, und das war ein schwacher Hoffungsschimmer, jemand wollte ungestört Katjas Haus durchsuchen. Ein Raubüberfall? Würde sie es nicht hören, wenn noch jemand im Haus wäre? Oder war es Rache? Hatte jemand Katja einen Denkzettel verpassen wollen? Nein, das war kein Denkzettel, und schon gar kein schlechter Scherz. Ohne noch einmal zu ihr hinzusehen, wusste Solveigh, dass ihre Lage ernst war. Sehr ernst. War es … versuchter Mord?
Sie zitterte, und das rührte nicht daher, dass sie auf einem Steinfußboden lag. Solveigh robbte sich ein Stück nach rechts, um durch den Durchgang in die Diele blicken zu können. Sie konnte die Haustür nicht sehen, nahm aber an, dass sie geschlossen war, weil sie keinen Luftzug spürte. Dann erblickte sie etwas, wovon ihr erneut schlecht wurde. Halb verborgen hinter der offen stehenden Kellertür, konnte sie ein Stück goldbraunes Fell sehen … Roxy, die bewegungslos am Boden lag. Er hat auch dem Hund etwas angetan!, dachte Solveigh zornig. Einem unschuldigen Tier! Aber war sie selbst nicht auch unschuldig? Und Katja? Das war es eben – sie wusste es nicht. Sie wusste zu wenig und hätte sich deshalb niemals in diese Geschichte verwickeln lassen dürfen.
Warum stand die Kellertür offen?
Ja, warum eigentlich?
Da unten war nichts … Ein Vorratsraum und Stauraum für diverse Sportgeräte, von Skiern über Surfbretter bis hin zu einer
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