Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Wie hast du gesagt, daß du heißt – Rolando? Ich sage Sam, daß du angerufen hast, wenn sie vom Fußball zurückkommt.«
»Chizz – ich wollte sagen, vielen Dank …« Es dauerte einen Augenblick, bis es angekommen war. »Sie? Moment mal, Ma’am, ich glaube …« Aber die Frau war bereits weg.
»Beezle, war das die einzige passende Nummer, die du hattest? Das kann nicht die richtige sein.«
»Sorry, Boß, du kannst mich treten, Boß, aber die kam dem Profil am nächsten. Ich versuch’s nochmal, aber ich kann nichts versprechen.«
Zwei Stunden später schreckte Orlando aus dem Halbschlaf hoch. Die Beleuchtung in seinem Zimmer war gedimmt, sein Infusionsständer warf einen Galgenschatten auf die Wand neben ihm. Er stellte die Platte von Medea’s Kids aus, die leise auf seinem Audionebenschluß spielte. Ein quälender Gedanke hatte sich in ihm festgesetzt, und er konnte ihn einfach nicht loswerden.
»Beezle. Ruf nochmal die Nummer von vorhin an.«
Er durchlief abermals das Kontrollsystem. Nach einer kurzen Pause meldete sich die Stimme derselben Frau wieder.
»Hallo. Ich hab vorhin schon mal angerufen. Ist Sam jetzt da?«
»Oh, ja. Ich habe vergessen, ihr deinen Anruf auszurichten. Ich hole sie.«
Wieder mußte Orlando warten, aber diesmal kam ihm die Zeit qualvoll lang vor, weil er nicht wußte, worauf er wartete.
»Ja?«
Ein Wort, und er wußte Bescheid. Ohne künstliche männliche Tonlage klang es höher als sonst, aber die Stimme kannte er.
»Fredericks?«
Vollkommenes Stillschweigen. Orlando wartete ab.
»Gardiner? Bist du das?«
Orlando verspürte etwas wie Zorn, aber das Gefühl war ebenso verwirrend wie schmerzhaft. »Du Schwein«, sagte er schließlich. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Es tut mir leid.« Fredericks’ neue Stimme war leise. »Aber es ist nicht so, wie du denkst…«
»Was gibt’s da zu denken? Ich dachte, du wärst mein Freund. Mein Freund und keine Freundin. Hat es Spaß gemacht, mir zuzuhören, wenn ich über Mädchen geredet hab? Wie ich mich total zur Scänbox gemacht hab?« Mit Schaudern fiel ihm plötzlich eine Situation ein, in der er beschrieben hatte, wie er seine Idealfrau aus den diversen Körperteilen berühmter Netzstars zusammensetzen würde. »Ich … ich dachte …« Er konnte auf einmal nichts mehr sagen.
»Aber es ist nicht so, wie du denkst. Nicht ganz. Das heißt, es sollte nicht…« Auch Fredericks sagte eine Weile nichts mehr. Als die vertraut-unvertraute Mädchenstimme wieder erklang, war sie dumpf und kummervoll. »Wo hast du diese Nummer her?«
»Ich hab danach geforscht. Ich hab dich gesucht, weil ich mir Sorgen um dich gemacht hab, Fredericks. Oder soll ich lieber Samantha sagen?« Er legte so viel Häme in das Wort, wie er aufbringen konnte.
»Ich… ich heiße Salome. ›Sam‹ war ein Witz von meinem Papa, als ich klein war. Aber…«
»Warum hast du mir das nicht gesagt? Herrje, das kann man ja machen, wenn man bloß mal so im Netz rumgurkt, aber wir waren Freunde, Mann!« Er lachte bitter. »Mann.«
»Das ist es ja! Versteh doch, als wir mal Freunde geworden waren, wußte ich einfach nicht mehr, wie ich es dir sagen sollte. Ich hatte Angst, du würdest nicht mehr mit mir rumziehen wollen.«
»Ist das deine Ausrede?«
Fredericks klang den Tränen nahe. »Ich … ich wußte nicht, was ich machen sollte.«
»Schön.« Orlando war zumute, als hätte er seinen Körper verlassen, als wäre er bloß noch eine freischwebende Zorneswolke. »Schön. Offensichtlich bist du nicht tot oder so. Das war’s eigentlich, was ich erfahren wollte.«
»Orlando!«
Aber diesmal war er es, der die Verbindung kappte.
> Sie sind dort draußen, so nahe, daß du sie beinahe riechen kannst.
Nein, in gewisser Weise kannst du sie riechen. Die Anzüge fangen alle möglichen subtilen Signale auf und erweitern den sinnlichen Wahrnehmungsbereich, so daß du fühlen kannst, daß sich fast zwanzig durch den Nebel auf dich zubewegen, so wie eine Dogge eine Katze wittern kann, die hinterm Haus über den Zaun schleicht.
Du schaust dich um, aber Olechow und Pun-yi sind immer noch nicht zurück. Sie hatten sich einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht, um die Signalanlage am Landeplatz zu überprüfen. Andererseits gibt es in dieser Hölle von einem Planeten nicht viele gute Zeitpunkte.
Etwas bewegt sich draußen an der Umzäunung. Du stellst die Filterlinsen in deinem Helm scharf; es ist keine menschliche Silhouette. Deine Hand ist schon
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