Pakt der Könige
unterhalten. Aber Salmyra huldigte nur einem Gott, dem Gold, wie Pier einmal zu Arekh gesagt hatte. Die Kärglichkeit der gottgeweihten Gebäude im Vergleich zum Luxus der Wohnhäuser bewies das.
Die Ironie des Schicksals wollte es, dass ausgerechnet an diesem seelenlosen Ort das wichtigste religiöse Konzil seit Jahrhunderten stattfinden sollte. Aber die Götter können von Ironie ja nicht genug bekommen , hatte Pier gesagt, und wie immer, wenn er von religiösen Dingen sprach, hatte Arekh ihm nicht geantwortet.
Er verließ den Palast durch einen mit türkisfarbenen und grünen Kacheln geschmückten Torbogen und ging in der brennenden Morgensonne spazieren. Sklaven, die Wasserschläuche schleppten, kamen an ihm vorbei. Sie gingen unsichtbar vorüber. Unsichtbar für die Augen der stolzen Krieger mit ihrem langen, schwarzen Haar, für die der schönen Frauen, die sich in fließende Gewänder hüllten und über ihre eleganten, mit schwerem Schmuck aus Gold und Korallen verzierten Hochsteckfrisuren Leinenkapuzen zogen, um sich vor der Sonne zu schützen. Unsichtbar für die Augen der Händler mit den kunstvollen Tätowierungen auf der Stirn, die den Schutz der Geister auf sie herabflehen sollten, und sogar für die der freien Dienstboten, die von einer Villa zur anderen eilten.
Ja, die Sklaven waren unsichtbar. Sie trugen zu Hunderten, wenn nicht gar zu Tausenden jeden Tag Wasser von den südlichen Toren in die Häuser und Paläste jeglicher Größe, die das Stadtzentrum bildeten. Sie gehörten zum Stadtbild, gekrümmte Gestalten mit langen Leinengewändern und einem Strick als Gürtel, die langsam und gebückt die schweren Wasserschläuche schleppten, die ihnen mit einem Geschirr auf den Rücken gezurrt waren. Sie waren wie Pferde, Karren oder Räder. Nahm man Räder wahr?
Arekh nahm sie mittlerweile wahr.
Aber seit er in Salmyra war, hatten sich die kleine Sklavin an seiner Seite, seine Sinne und seine Gedankengänge seltsam voneinander gelöst. Es gab Dinge, die er jetzt sah und doch nie zuvor gesehen hatte: die Sklaven, den Staub auf den Götterstatuen, die ordinäre Derbheit der Abkömmlinge der göttlichen Linien. Es gab Dinge, die er hörte und doch nie zuvor gehört hatte: die Langeweile in den Stimmen der Priester, die Gebete rezitierten, die Fehler im
Vortrag, die Widersprüche und Torheiten in den Vorhersagen der Seher.
Aber obwohl er »sah« und »hörte«, weigerte er sich zu denken, er weigerte sich, Schlüsse zu ziehen. Auf die Weise war er zum Meister darin geworden, unwillkommene Gefühle zu unterdrücken. Die Neuigkeit von Marikanis Ankunft hatte ihn überrumpelt, aber er hatte sich schnell erholt. Es war ihm mit wohlgeübter Geschmeidigkeit geglückt, die Informationen nur an einen Teil seines Verstandes rühren zu lassen - den, den er brauchte, um zu sprechen, zu antworten, logisch zu denken. Nichts hatte sein Inneres erreicht.
Die Neuigkeit, dass die königliche Karawane aus Harabec in einen Hinterhalt geraten war, hatte ihn nicht berührt. Er hatte keine besondere Emotion verspürt, als die Smiah - die dicken Sekretäre, die in Diensten der Shi-Âr standen - erklärt hatten, dass sie das Ausmaß der Verluste noch nicht überblickten und nicht wüssten, ob Marikani tot oder am Leben sei. Nein, Arekh hatte nichts gespürt. Da er gezwungen gewesen war, dort, im Vorzimmer, zu bleiben und zwischen Dienern und Boten - die hysterisch nur noch das Wort von der »Kreatur der Abgründe« im Munde führten - auf das Eintreffen von Nachrichten von der Nordfront zu warten, hatte er sich auf andere Dinge konzentriert, hatte sich gezwungen, im Geiste seine Nâlas zu mustern, ihre Positionen und seine Strategie zu durchdenken. Dann hatte er sich einen nach dem anderen die Namen aller Offiziere des Emirs aufgesagt - die Nâla-Di wussten es zu schätzen, wenn man sie, wie es in Faez üblich war, mit ihrem Namen und nicht mit ihrem Titel anredete.
So war die Stunde schnell vergangen - es gab viele Offiziere, und sie hatten lange Familiennamen.
Als ein neuer Bote eingetroffen war, um zu melden, dass Marikani alles unbeschadet überstanden hatte und nur kurzzeitig aufgehalten worden war, hatte Arekh die Neuigkeit mit einer gleichgültigen Kopfbewegung aufgenommen und sich auf einen Brief der Brüder Louarn konzentriert, die zum Schutz der Weststraße ein Katapult verlangten.
Warum dachte er jetzt wieder an Marikani? Ach ja, die Sklaven …
Auf der Straße schritt die Reihe von Männern und Frauen in
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