Paladin der Seelen
würde er über Rätseln brüten. »Ich hätte Euch gleich erkennen müssen. Ich habe Eure Gegenwart vom ersten Moment an gespürt, da ich Euch sah. Und trotzdem – Ihr habt nicht so ausgesehen, wie ich mir die strahlende Ista vorgestellt hatte.«
Wenn das der Anfang irgendeiner höflichen Schäkerei sein sollte, war Ista zu müde, um sich darauf einzulassen. Wenn es etwas anderes war … dann war sie erst recht zu müde. Schließlich brachte sie hervor: »Wie habt Ihr Euch mich denn vorgestellt?«
Er macht eine unbestimmte Handbewegung. »Größer. Die Augen von tieferem Blau. Helleres Haar – gülden wie sie Sonne und süß wie Honig, sagen die Poeten bei Hofe.«
»Die Poeten bei Hofe werden für schmeichlerische Lügen bezahlt. Aber es stimmt, mein Haar war heller in meiner Jugend. Die Augen aber sind dieselben geblieben, nur dass sie inzwischen vielleicht mehr sehen.«
»Ich habe mir jedenfalls keine Augen in der Farbe eines Winterregens vorgestellt, und auch kein Haar im Farbton winterlicher Felder. Ich habe mich gefragt, ob Eure lange Trauer Euch in diese trostlose Jahreszeit raten ließ.«
»Nein. Irgendwie war ich schon immer ein fader Tropf«, erwiderte sie. Er lachte nicht. Das hätte einiges leichter gemacht. »Ich versichere Euch, das Alter hat nur meinem Verstand gut getan.« Und selbst der wird von vielen angezweifelt.
»Falls Ihr Euch dem gewachsen fühlt, Majestät, könnt Ihr mir etwas über meinen Vater erzählen?«
O weh, ich fürchte, sein Interesse galt nicht nur meinen regenfarbenen, traurigen Augen.
»Was gibt es zu sagen, das nicht schon jeder weiß? Arvol dy Lutez verstand sich auf den Umgang mit Schwert und Pferd, Musik und Dichtkunst, Kriegführung und Regierungsgeschäften … wenn er unter all seinen Begabungen eine Schwäche hatte, war es die Vielzahl seiner Talente, die ihn allzu oft um den Ertrag einer Anstrengung brachte …« Sie hielt inne, doch der Gedanke lief von allein weiter. Aus der Entfernung betrachtet wurde ihr klar, dass dy Lutez’ viele Dinge schwungvoll begonnen hatte, aber nur Weniges war von Erfolg gekrönt. Duftende Blüten, aus denen unreife oder faulige Früchte geworden waren …
Ja. Das hätte mir auffallen müssen, auch damals schon. Und wenn ich damals zu unreif war in meiner Urteilskraft, wie war es dann um die Urteilskraft der Götter bestellt, die keine solche, Entschuldigung haben?
»Er hat jeden begeistert, der ihn traf.« Nur mich nicht.
Arhys starrte auf den Widerrist seines Pferdes. »Wisst Ihr«, sagte er nach einer Weile, »ich habe schon schönere Frauen gesehen, doch Ihr zieht meine Aufmerksamkeit ganz besonders auf Euch … Ich kann es nicht erklären.«
Ein höflicher Kavalier, sagte sich Ista, hätte nie einen solchen Schnitzer begangen und eingeräumt, dass es schönere Frau gab als seine derzeitige Zuhörerin. Und ein höflicher Kavalier hätte weitergeredet und sich in poetischer Länge erklärt. Eine bloße Schäkerei konnte man mit einem Lächeln abtun, doch Arhys’ Bemerkungen waren ernst gemeint und beunruhigten Ista sehr viel mehr.
»Ich verstehe allmählich«, fuhr er fort, »warum Vater für Eure Liebe sein Leben riskiert hat.«
»Halt!«, sagte Ista.
Erschrocken schaute er zu ihr hinüber; dann erst dämmerte ihm, dass sie nicht sein Pferd meinte. »Majestät?«
»Wie ich sehe, haben die romantischen Gerüchte ihren Weg bis nach Caribastos gefunden. Aber sorgt Euch nicht um den erlesenen Geschmack Eures Vaters, denn Arvol dy Lutez war niemals mein Liebhaber.«
Arhys war vollkommen überrascht und brauchte eine Weile, um ihre Worte zu verdauen. Schließlich brachte er zögernd hervor: »Ich nehme an … inzwischen habt Ihr keinen Grund mehr, etwas anderes als die Wahrheit zu sagen.«
»Darüber habe ich nie etwas anderes als die Wahrheit gesagt. Ich war es nicht, die all diese Verleumdung und üble Nachrede verbreitet hat. Ich habe meist geschwiegen.« Und war sie daher weniger schuldig? Wohl kaum.
Er legte die Stirn in Falten und dachte darüber nach. »Hat König Ias Euren Unschuldsbeteuerungen keinen Glauben geschenkt?«
Ista rieb sich die Stirn. »Ich muss weiter vorn anfangen. Wie habt Ihr Euch die Wahrheit all die Jahre vorgestellt? Was steckte Eurer Meinung nach hinter den verhängnisvollen Begebenheiten?«
Er schaute unbehaglich drein. »Ich glaubte … war zu dem Schluss gekommen … dass mein Vater durch Folter zu einem Geständnis gebracht werden sollte, was seine Liebe zu Euch betrifft. Und als er
Weitere Kostenlose Bücher