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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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nicht abschwächte, würden sie bald die Heimat erreicht haben.
    Asterios hatte ihre Reise nicht verhindern können. Obwohl er wußte, was ihnen bevorstand. In Strongyle wartete der Tod auf sie.
    Der schwarze Vulkan, der kein Erbarmen kannte.

Drittes Buch

Heilige Hochzeit
    Über der Insel lag flirrende Hitze. Fahlweiß schimmerte die Küste, und das Meer war wie mit Silbergüssen durchsetzt. Am Himmel waren keine Wolken zu sehen; es hatte seit Wochen nicht mehr geregnet. Wiesen, Felder und Olivenhaine lagen unbewegt unter dem glühenden Atem des Sommers, der die Blumen verwelken ließ und die Kräuter duften, als wäre es das allerletzte Mal. Das Gras war versengt; die Erde war aufgesprungen. Auch Macchia und Kiefernwälder waren mit grauem Staub bedeckt.
    Nach und nach waren die Wasserläufe immer schmaler geworden, bis viele der Bäche ganz versiegten und die Flüsse zu Rinnsalen verkümmerten. Nur in den Bergen gab es noch Wasser. In den glutheißen Ebenen litten Menschen und Tiere unter der Windstille. Erhob sich doch einmal eine Brise, war es Wüstenwind aus Afrika, der feinen rötlichen Sand in Schwaden mit sich trug. Überall drang er ein; auch das sorgfältige Verschließen der Fenster konnte es nicht verhindern. Die öffentlichen Brunnen waren leer. In den Zisternen sank der Wasserspiegel. Jetzt waren die Bewohner von Steingebäuden im Vorteil. Wer in Holz- oder Lehmkaten schwitzte, behalf sich notdürftig mit feuchten Umschlägen oder Bottichen mit kaltem Wasser. Die Bäuerinnen begannen vor Sonnenaufgang mit ihrer Arbeit und blieben ab Mittag für den Rest des Tages im Schatten. Nachts schliefen sie mit ihren Familien nicht unter den niedrigen Dächern, die die Hitze gespeichert hatten, sondern im Freien. Alle lechzten nach Abkühlung. Überall auf der Insel beteten Frauen und Männer um Regen. Die Priesterinnen brachten zusätzliche Opfer dar. Aber nach jeder lauen Nacht zog wieder ein gleißend blauer, wolkenloser Tag herauf. Es war Ende Juli, und August, der wärmste Monat des Jahres, stand noch bevor.
    Der Hof war schon vor einigen Wochen nach Süden umgezogen. In diesem Jahr blieb die Sommerresidenz in Elyros unbewohnt. Das Fest der Heiligen Hochzeit sollte am ersten Tag des Monats August in Phaistos gefeiert werden. Alle acht Jahre wurde diese Zeremonie auf Kreta begangen. Dann war das Große Jahr zu Ende, das hundert Umläufe des Mondes umfaßte. Nach Ablauf dieser Frist mußte erneut vollzogen werden, was für Pflanzen, Menschen und Tiere auf Kreta als Voraussetzung für Wachsen und Gedeihen galt: Die Große Mutter vereinigte sich mit dem Weißen Stier aus dem Meer.
    Die Vorbereitungen für dieses wichtigste aller Rituale dauerten schon Monate. Der Kultplatz am Wasser war neu aufgeschüttet worden, eine Bucht, unweit der Hafenstadt Matala, die geschützt zwischen zwei Hügelketten lag. Ein kleiner Kiesstrand führte sanft ins Meer. Nach hinten stieg das Gelände flach an und bot bis zum ersten Höhenzug auch für eine größere Menschenmenge ausreichend Platz.
    Keiner wollte sich diese Nacht der Nächte entgehen lassen. Kein Ritual galt als glückverheißender und besser geeignet, die Große Mutter um Fruchtbarkeit für Mensch und Tier zu bitten. Auch in diesem Jahr würde wieder ein langer Zug von Frauen zur Opferstätte ziehen und die Göttin anflehen, ihre Kinderlosigkeit zu beenden. Das Fest, das bis in die Morgenstunden in verschwiegenen Buchten ringsherum gefeiert wurde, hatte schon oftmals solche Wünsche in Erfüllung gehen lassen. Kinder, die in dieser Nacht gezeugt wurden, stammten, so glaubte man, direkt aus Ihrem heiligen Schoß. Aus Dankbarkeit für das tiefe mystische Band, das alle Schwestern der Einen Mutter miteinander verknüpfte, opferten sie Ihr Milch, Honig, Wein, Öl, Getreide und Früchte. Ganze Wagenladungen wurden herbeigekarrt, und die Frauen schleppten heran, was sie tragen konnten. Ein weiser Brauch, seit Jahrhunderten bekannt, sorgte dafür, daß nichts verdarb. War das Ritual beendet, kamen Bedürftige in Scharen herbei und durften alles mitnehmen. Stieg die Sonne am nächsten Morgen aus dem Meer, zankten sich nur noch Seevögel um die restlichen Brocken. Der Kultplatz lag da wie blankgeputzt. Die Große Mutter hatte das Opfer wohlwollend angenommen.
     
    In den letzten Tagen vor dem großen Ereignis glich ganz Phaistos einem Bienenschwarm. Nach und nach trafen die Pilgerinnen ein und wurden in den umliegenden Dörfern untergebracht; einige wohnten sogar in Chalara.

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