Palast der blauen Delphine
blieb noch eine Weile stehen und sah ihnen kopfschüttelnd nach. Dann setzte er seinen Weg weiter fort. Der kurze Wortwechsel hatte Asterios aufgeschreckt. »Wo sind wir?« stammelte er.
»Gleich am Ziel«, antwortete sie. Er glühte. Er mußte liegen und versorgt werden.
»Wo bringst du mich hin?«
»Nach Chalara. Zu Iassos. Dort gibt es Korridore voller Heilpflanzen. Und niemanden, der dir weh tun könnte. Ich weiß keinen Ort, wo du sicherer wärst.«
Schon nach dem ersten Stollen fühlte Theseus sich schwächer. Er hatte seinen Zustand falsch eingeschätzt. Asterios mußte ihn stärker getroffen haben, als er geglaubt hatte. Sein Kopf brummte, als tobe ein Bienenschwarm in ihm, und eine Stelle über dem linken Ohr war taub. Er hatte kaum noch Wasser.
Zum Glück gab es den Faden, der ihm wie eine weißliche Schneckenspur den Weg nach draußen wies. Trotzdem schien der Weg durch die Nacht der Erde kein Ende zu nehmen. War er wirklich in all diese Winkel gestolpert, durch all diese Röhren gekrochen, bevor er das Monstrum getötet hatte? Er mußte immer wieder innegehalten haben, um sich neu zu orientieren. An diesen Drehpunkten war der Faden zu kleinen schimmernden Nestern aufgehäuft.
Aber er hatte es schließlich dennoch geschafft – ohne die Einweihung zu besitzen, derer sich diese Kreter so brüsteten. In seinem Freudentaumel vergaß er den entscheidenden Teil, den Ariadne dabei geleistet hatte. In den vergangenen Stunden hatte er kaum einmal an sie gedacht. Nur noch an Phaidra und ihren weißen Körper. Das brandrote Vlies. Er hatte sich das Hirn zermartert, wie er sie entführen und auf das Schiff bringen könnte. Aber nichts hatte ihm einfallen wollen, nichts, was nicht seine eigene Flucht gefährdet hätte. Er berührte die Maske, die an seinem Gürtel hing. Sie war Beweis für das, was er riskiert und erreicht hatte.
Aber noch war längst nicht alles vorbei. Das Brummen in seinem Schädel hatte sich zu unerträglichem Hämmern gesteigert. Das Rückgrat schmerzte, seine Beine versagten den Dienst. Auf der Suche nach Halt lehnte sich Theseus gegen die Wand. Er streckte sich halb aus und versuchte, möglichst bequem zu liegen. Er stutzte, als seine Hand plötzlich an einen metallischen Gegenstand stieß.
Er war nicht groß, wog jedoch schwer. In der Dunkelheit konnte er nicht erkennen, was es war. Theseus ertastete zwei Spitzen, zwischen denen eine glatte Scheibe befestigt war. Wahrscheinlich eine Opfergabe, dachte er. Eine jener Kostbarkeiten, die sie ihrer unerbittlichen Göttin weihten. Ein weiterer Beweis, daß er das Labyrinth betreten und erfolgreich bezwungen hatte.
Er ließ das kleine Ding in seine Gewandtasche gleiten, stand vorsichtig auf und setzte seinen beschwerlichen Weg nach draußen fort. Obwohl er all seine Energie darauf konzentrierte, vorwärts zu kommen, war es schon dunkel, als er die Tür zur Freiheit aufstieß.
Er hätte nicht einmal sagen können, welcher Tag gerade zu Ende ging. Der Abend war kühl, Wolken trieben am Himmel und kalte Windstöße zerrten an seinen Kleidern. Er fröstelte, war durstig und hungrig. Er brauchte Wärme und Ruhe. Ariadne hatte versprochen, sich um alles zu kümmern. Wo in aller Welt steckte sie? Warum wartete sie nicht am Eingang auf ihn? Und wohin konnte der Myste verschwunden sein, den er so sorgfältig gefesselt hatte?
Er machte sich nicht die Mühe, den Knoten aufzuknüpfen. Wütend riß er den Faden vom Schwanzende der schwarzen Schlange und warf das Knäuel achtlos ins Gebüsch. Sollten sie seinen Wegweiser in die Unterwelt ruhig finden – bis dahin waren sie längst auf hoher See! Er stieß ein paar Flüche aus. Er war nervös. Warum war Ariadne nicht hier? Irgendetwas mußte geschehen sein, das sie am Kommen gehindert hatte. Theseus setzte sich auf die steinernen Stufen. Sollte er hier auf sie warten? Er fühlte sich einsam. Er hätte viel darum gegeben, bei seinen Freunden aus Athenai sein zu können. Um sich wachzuhalten, begann er leise vor sich hinzusummen.
Plötzlich hielt er inne. Da war es – endlich! Das Geräusch von Hufen, ein lautes Klackern, als der Reiter den Tanzplatz erreichte.
»Prokritos?« fragte Theseus erwartungsvoll in die Dunkelheit. Dann merkte er, daß die Gestalt viel zu klein war. »Ariadne? Wo hast du nur gesteckt?«
Er erkannte seinen Irrtum, bevor der Schein des Öllämpchens auf ihr Gesicht fiel. Ihr Haar war aufgelöst und hing in wirren Locken in die hohe, blasse Stirn. Die Augen glühten. Er sah ihre
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