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Palast der Suende - Roman

Palast der Suende - Roman

Titel: Palast der Suende - Roman
Autoren: Jan Smith
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sie die Stimme sofort wieder.
    »Sie sehen reizend aus.« Es war, als wollte seine tiefe Stimme sie streicheln. Er nahm ihre Hand und half ihr ins Boot. Der Boden schwankte ein wenig unter ihren
hohen Absätzen, und sie mußte sich an ihn lehnen, um das Gleichgewicht halten zu können. Er hielt ihren Ellenbogen fest und führte sie zu einem Sitz am Bug. Mit einiger Erleichterung sah sie, daß sie nicht allein waren. Am Steuer, auf der anderen Seite der Kabine, stand ein Mann.
    »Sind Sie in Ordnung?« fragte Stuart.
    Claire wurde bewußt, daß sie noch kein Wort mit ihm gesprochen hatte. Sie lächelte ihn an. »Tut mir leid. Ich habe nicht damit gerechnet, daß Sie übers Wasser kommen.«
    »Ja, es ist ein bißchen protzig, nicht wahr? Aber Vittorio bestand darauf, daß ich heute abend sein Boot nehme.«
    »Vittorio?«
    »Giacomo Vittorio. Ein Klient von mir.« Er hob die Schultern. »Nun ja, er ist mehr als ein Klient, er ist eher ein alter Freund der Familie. Das ist oft so hier im Süden, ständig vermischt man Arbeit und Vergnügen.«
    Stuart zog das Tau ein, und der schweigsame Fahrer lenkte das Boot vom Anlegeplatz weg in das Kanalsystem von Venedig. Claire nutzte die Gelegenheit, sich ausgiebig umzuschauen. Es war offensichtlich, daß es sich um ein teures Motorboot handelte, überall poliertes Holz und Messing, und durch die Gardinen der Kabine konnte sie sehen, daß die Polstermöbel mit brombeerfarbenem Samt überzogen waren.
    Sie schaute zu Stuart, und ihre Blicke trafen sich. Seine Augen waren dunkel wie schmelzende Schokolade. Die Wimpern waren lang und fast feminin, aber die Botschaft in den Augen war ausschließlich männlich.
    Claire spürte ein leichtes Flattern in der Magengrube
als Reaktion auf seinen Blick. Sie rutschte ein wenig weg von ihm, damit sie nicht mehr die Wärme seines Schenkels durch ihr Kleid spüren konnte. Um ihre Verlegenheit zu kaschieren, schaute sie sich um, während das Boot auf dem Wasser von einem Lichtball zum anderen glitt. Auf den Brücken, unter denen sie her fuhren, standen die Touristen und winkten ihnen zu. Aus den offenen Fenstern der Restaurants drang eine Vielfalt von Aromen zu ihnen, begleitet von ausgelassenem Lachen und den Klängen fröhlicher Musik. Gläser klirrten. Claire seufzte. Es gab nichts Romantischeres als Venedig bei Nacht.
    »Es ist wunderbar«, sagte sie verträumt.
    »Ja, ist es.«
    Etwas in seiner Stimme ließ sie zur Seite schauen, und sie bemerkte, daß er sie immer nur anstarrte. Sie errötete und wandte wieder den Blick ab. Stuart lehnte sich zurück und genoß die leichte Brise. Einen Arm hatte er lässig über ihre Rückenlehne gestreckt. Claire spürte die Berührung an ihrer Schulter. Sie setzte sich auf, um dem Kontakt auszuweichen.
    Ihre Reise führte sie unter die marmorne Balustrade der Brücke Fondamente de la Fenice, und als Claire die blinden Fenster von La Fenice sah, dem berühmten Opernhaus, faßte sie sich voller Entsetzen an die Brust. Das einstmals so elegante Haus lag geschwärzt und heruntergekommen da, und die Steine dünsteten immer noch einen schwelenden Geruch aus.
    »Es ist kaum vorstellbar, daß so etwas in einer Stadt voller Wasser geschehen kann, nicht wahr?« sagte Stuart, und auch in seiner Stimme lag große Trauer.
    »Es sieht wie tot aus«, murmelte Claire benommen.
»Ich habe vergessen. daß Sie die Stadt kennen. Wann waren Sie das erste Mal hier?«
    Claire wich der Frage aus. »Haben Sie nicht gesagt, daß wir in die Oper gehen würden?«
    »Tun wir auch.« Stuart lachte. »Sie glauben doch nicht, daß die Venezianer ohne ihre große nationale Leidenschaft auskommen können? Sie haben neben dem Bahnhof ein Zelt aufgestellt, aber mir gefällt es dort nicht. Es ist zu groß. Heute abend gehen wir in eines der kleineren Theater, in denen es oft gute Vorstellungen gibt.«
    »Gehen Sie oft in die Oper?«
    »Wenn ich in Venedig bin, ja. Aber zu Hause bin ich meistens zu sehr beschäftigt.« Seine schönen Lippen weiteten sich zu einem Grinsen. »Sie wissen doch, wie das ist in London. Viel zu tun und wenig Zeit.«
    »Sie wohnen also nicht in Schottland?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich bin schon vor Jahren umgezogen. Die schottische Kleinstadt wurde ein bißchen zu…« – er überlegte nach dem passenden Wort – »… klaustrophobisch.« Er sagte das auf eine trockene Art, und Claire überlegte, ob es nicht einen anderen Grund für den Ortswechsel gab. Aber dann lenkte er sie mit einer Frage ab. »Wo wohnen
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