Pandoras Tochter
Kaffee.«
»Geh schlafen, Megan«, sagte Grady leise, als sie eine Viertelstunde später mit zwei dampfenden Tassen zurückkam. »Du sitzt wie eine starre Statue auf diesem Sofa, seit wir vom Friedhof zurück sind. Du wirst vielleicht nicht schlafen, aber du kannst dich wenigstens ein bisschen hinlegen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Scott ruft mich an, nachdem er mit der Polizei gesprochen hat.« Sie schluckte. »Ich habe ihn gebeten, der Polizei zu sagen, dass sie sich mit Venable kurzschließen sollen. Ich hab versucht, ihm zu erklären, dass es keinen Sinn hat, die Polizei einzuschalten, dass ich Davy zurückhole, aber er wollte nicht auf mich hören. Wahrscheinlich würde ich das an seiner Stelle auch nicht. Er klang, als würde er mich hassen.«
»Er ist dein Freund. Er wird das überwinden, sobald sein Junge wohlbehalten zu Hause ist.«
»Wirklich? Welche Freundin würde einen kleinen Jungen in eine solche Gefahr bringen? Ihm ist alles gleichgültig – er will nur Davy zurück.«
»Hast du ihm von Molino erzählt?«
Sie verneinte. »Ich hab ihm verschwiegen, was für ein Monster er ist, und hoffe, dass die Polizei es ihm auch nicht sagt. Das brauchen sie nicht zu wissen. Sie gehen ohnehin schon durch die Hölle. Es genügt, dass ich es weiß. Er ist so ein lieber kleiner Junge, Grady.« Sie warf einen Blick auf das Foto, das sie in der Hand hielt. Es war ein Schnappschuss von Davy auf seinem neuen Fahrrad. Nicht derselbe, den ihr Scott gemailt hatte. Davys hinreißendes Gesicht auf diesem Foto wirkte konzentriert. »Sie müssen ihn lange beobachtet haben.«
»Wahrscheinlich, seit du mit ihm im Zoo warst. Darnell hat dich in dieser Zeit observiert. Da Davy nicht mit dir verwandt ist, hat Molino ihn vermutlich für nicht besonders wichtig gehalten. Er hat ihn nur entführt, weil er dachte, dass Phillip kein ausreichender Köder für dich ist.«
»Ein Doppelschlag. Er hat einen Weg gefunden …«
Ihr Handy klingelte. Scott. Sie drückte eilends auf die Taste. »Habt ihr mit der Polizei gesprochen?«
»Die Mistkerle halten uns hin«, antwortete Scott schroff. »Nachdem sie mit Venable gesprochen hatten, haben sie nicht mal den Versuch unternommen, Davy zu suchen. Sie sagten, es wäre nicht gut, den Schlamm aufzurühren. Mein Gott, Davy ist allein mit den Hurensöhnen, und kein Mensch unternimmt etwas.«
»Wir unternehmen etwas, Scott. Ich lasse nicht zu, dass ihm etwas zustößt.«
»Das will ich dir geraten haben. Wir sind befreundet, aber das alles ist nur passiert, weil du dich mit diesem Abschaum eingelassen hast. Jetzt hol mir meinen Sohn zurück.«
»Tut mir so leid, Scott«, flüsterte sie.
»Das genügt nicht. Jana ist hysterisch und musste sediert werden. Ich bin ein Nervenbündel, und mein Sohn kann morgen schon tot sein. Sieh zu, dass du das in Ordnung bringst.« Damit legte er auf.
Megan sah Grady an. »Venable hat die Polizei zurückgepfiffen. Scott kann das nicht verstehen.« Sie legte das Handy auf den Tisch. »Er weiß nur, dass ich schuld an allem bin, und fordert, dass ich ihm Davy wiederbringe.« Und bebend fügte sie hinzu: »Er hat recht. Vielleicht haben wir uns alle geirrt, was diese Pandora-Sache betrifft. Vielleicht ist es mein ›Talent‹, allen Menschen in meiner Umgebung weh zu tun und Unglück zu bringen.«
»Halt den Mund«, herrschte Grady sie an. »Molino hat das getan, nicht du. Und jetzt hör auf mit diesem Selbstmitleid.«
Sie hob erschrocken den Kopf. »Ich tue mir nicht leid. Ich bin nur …«
»Gut. Denn ich halte das nicht mehr aus. Jedes Wort, das du von dir gibst, ist für mich wie ein Dolchstoß.«
Sie lächelte matt. »Dann solltest du vielleicht aufhören mit dem Selbstmitleid.«
»Ich arbeite daran. Aber ich würde mich besser fühlen, wenn du zuließest, dass ich dich berühre.« Er setzte sich neben sie. »Okay?«
Sie würde sich auch besser fühlen. Der erste Schock war vergangen, doch der Schmerz war geblieben. »Okay.« Sie schmiegte sich an ihn und ließ die Wärme und das Zusammengehörigkeitsgefühl auf sich wirken. »Ich habe sie tief verletzt, Grady«, flüsterte sie. »Jetzt begreife ich beinahe, warum Renata niemanden an sich heranlässt. Ich möchte nie wieder jemandem so weh tun.«
»Du bist nicht wie Renata. Du kannst dich nicht so abkapseln.« Er strich ihr übers Haar. »Du musst damit leben. Dies wird nicht bis in alle Ewigkeit andauern. Alles wird wieder gut. Wir sorgen dafür.«
»Ich wünschte, ich wäre bei Renata. Ich habe
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