Pandoras Tochter
»Okay, Harley ist kein Idiot. Ich … ich weiß einfach nicht, was er denkt, und das stört mich. Ist das ehrlich genug?«
»Ein Anfang.« Und nach einem Moment fügte Megan hinzu: »Und jetzt sagen Sie mir: Wollen Sie Molino gemeinsam mit uns unschädlich machen, oder wollen Sie uns und die ganze Welt nur benutzen, um ihn allein zu erwischen?«
»Das muss ich mir noch überlegen.«
»Nein, darüber haben Sie längst nachgedacht. Ich will eine Antwort. Das ist der beste Weg. Geben Sie’s zu.«
»Vielleicht.«
»Renata.«
»Okay.« Sie lächelte. »Ich bemühe mich, mit Ihnen gemeinsam zu arbeiten … solange die Chronik nicht gefährdet ist.«
»Das war schlimmer, als einen Zahn zu ziehen«, erwiderte Megan.
»Nein, das war es nicht. Eines Tages bitte ich Mark, Ihnen zu erzählen, wie er drei Zähne bei einem Verhör durch die Taliban verloren hat.« Sie stand auf. »Und jetzt muss ich meine Ausrüstung zusammenpacken, bevor Grady zurückkommt. Unsere Zeit ist knapp.«
»Ich kann das für Sie machen. Sie sollten sich ausruhen.«
»Niemand außer mir fasst mein Equipment an. Ausruhen kann ich mich später.« Sie durchquerte vorsichtig das Wohnzimmer. Megan sah, dass sie sich Mühe gab, nicht zu schwanken.
»Und wer benimmt sich jetzt idiotisch?«, fragte Megan leise. »Kein Mensch wird Ihre wertvolle Ausrüstung kaputtmachen.«
»Aber Sie könnten sich verletzen. Jemand wie Harley mag mit all den Fallen, die ich gelegt habe, umgehen können, aber für jeden anderen wäre das ein Drahtseilakt.« Sie warf einen Blick über die Schulter. »Und ich möchte nicht Ihre Einzelteile aufklauben, wenn Sie einen falschen Schritt machen. Lassen Sie die Finger von meinen Sachen.«
Wie tödlich sind diese »Sachen« genau?, fragte sich Megan. Harley hatte gesagt, dass die technischen Geräte James Bond vor Neid erblassen lassen würden, und offensichtlich waren sie ein todbringender Schatz. Sollte sich Renata allein darum kümmern. Megan hatte von Renata bekommen, was sie brauchte; die Chronik war allerdings nach wie vor unerreichbar. Dafür hatte Megan ein Versprechen auf Zusammenarbeit erwirkt, und das musste genügen.
Würde es genügen? Die Ereignisse der Nacht hatten ihr gezeigt, wie nah ihnen Molino war. Sie schienen diesem Bastard immer nur einen Schritt voraus zu sein.
Oder weniger als einen Schritt. Renata hätte heute Nacht ums Leben kommen können, und wer weiß, ob Molinos Männer anschließend Jagd auf Grady und sie gemacht hätten.
Die Zeit ist knapp, hatte Renata gesagt. Megan hatte es satt, vor dem Schatten, den Molino auf ihr Leben warf, davonzulaufen.
Sie machte ihre Arzttasche zu und erhob sich. Komm zurück, Grady. Es wird Zeit, dass wir selbst ein paar Schatten werfen.
Grady kam eine halbe Stunde später zu Renatas Haus. »Gehen wir«, sagte er kurz angebunden. »Ich habe Harley gebeten, den Wagen zu holen und uns hier aufzulesen. Wir sind hier weg.«
»Hat die CIA Schwierigkeiten gemacht?«
»Nein. Venable hat deutlich gesagt, was jetzt zu tun ist. Als Harley die Umgegend abgesucht hat, fand er frische Reifenspuren am Ausgang des Kellers. Spuren, kein Fluchtauto. Das heißt, dass es vier Männer waren, nicht nur drei. Der Fahrer hat die Geschehnisse beobachtet und sich aus dem Staub gemacht, als sich seine Komplizen nicht mehr blicken ließen. Er dürfte Molino sofort über alles ins Bild gesetzt haben. Molino weiß inzwischen, dass wir mit Ihnen zusammenarbeiten, Renata.« Er sah sie an. »Begleiten Sie uns?«
Sie nickte. »Das scheint mir eine gute Idee zu sein.« Sie nahm ihren Koffer und steuerte die Tür an. »Im Moment.«
»So gefällt es mir. Absolute Kooperation.« Grady streckte die Hand nach ihrem Koffer aus. »Ich nehme das – dann geht es schneller.«
»Niemand fasst ihre ›Sachen‹ an«, sagte Megan. »Anscheinend gehen sie bei nicht sachgemäßer Behandlung in die Luft.«
»In diesem Fall hab ich eine Ausnahme gemacht«, erwiderte Renata. »Aber Sie würden sich aufregen, wenn er in tausend Stücke zerfetzt würde. Wohin fahren wir?«
»Zum Flughafen. Wir chartern eine Maschine nach Atlanta. Uns ist es gelungen, den letzten Anruf von dem Handy, das ich Molinos Männern abgenommen habe, zu verfolgen. Eine Nummer im Bereich Süd-Tennessee wurde angewählt.«
»Und du glaubst, dass Molino dort ist?«, hakte Megan nach.
»Wahrscheinlich.«
»Du hast gesagt, er hätte sein Hauptquartier in Madagaskar.«
»Das ist jetzt, da er die Chance hat, das zu bekommen, was
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