Pandoras Tochter
gespielter Erleichterung, »bin ich froh, dass ich es einem Profi überlassen habe, ihre Schulter zu versauen.«
»Ich habe gar nichts versaut«, wehrte sich Megan. »Ich habe mein Bestes getan, aber ich kann nicht …«
»Er macht nur Witze«, fiel ihr Renata ins Wort. »Er hat einen ganz speziellen Humor.«
»Wenigstens hab ich einen«, brummte Harley. »Cousin Mark hätte sich darum kümmern sollen, statt Sie in Kampftaktiken auszubilden.«
Megan schaute von Harley zu Renata. Die beiden waren grundverschieden. Renata war konzentriert und vorsichtig, und Megan spürte nahezu die elektrisierende Kraft, die sie anspornte. Im Gegensatz dazu vermittelte Harley den Eindruck, total entspannt zu sein, und er ging auf Menschen zu. Dennoch spürte Megan ein Band, ein Verständnis … irgendetwas.
»Es war ein guter Schlachtfeldverband, Harley«, lobte Megan, während sie selbst einen professionellen Verband anlegte. »Sie muss noch eine Weile ein Antibiotikum schlucken und aufpassen, dass die Nähte nicht reißen, aber bald ist alles ausgestanden.« Stirnrunzelnd berührte sie eine runde weiße Narbe auf Renatas Oberarm. »Das sieht auch aus wie eine Schussverletzung.«
Renata nickte. »Syrien.« Sie zog ein frisches Shirt an. »Sind Sie bereit? Wir sollten von hier verschwinden. Ich glaube zwar nicht, dass Molinos Männer Zeit hatten, Hilfe anzufordern, aber …«
»Wenn Grady wieder da ist«, sagte Harley. »Er hat ein paar seiner CIA-Kumpel angerufen. Sie schicken einen Säuberungstrupp her. Er trifft sie im Wald.«
»Wenn es hilft, könnte ich Mark anrufen.«
»Ich bin versucht, Sie darum zu bitten«, erwiderte Megan erbittert. »Ich würde Ihren Cousin gern kennenlernen.«
»Liebe Güte, Megan wird fürsorglich und mütterlich«, ächzte Harley. »Vielleicht sollte ich mal ein Wörtchen mit ihr reden, Renata.«
»Klappe, Sie wissen gar nichts. Megan ist eine Lauscherin – sie kann nicht anders.«
»Entschuldigung. Ich bin nicht vertraut mit all den Feinheiten dieser parapsychologischen Geschichten.« Er ging zur Tür. »Ich denke, Sie haben für eine Weile genug von mir. Ich sehe mich draußen ein wenig um. Ruft mich an, wenn ihr mich braucht.« Er bedachte Renata mit einem spöttischen Blick. »Falls das Ihre Würde nicht verletzt.«
Er wartete nicht auf eine Antwort.
Renata zog die Stirn kraus, als die Haustür ins Schloss fiel. »Er ist so ein Idiot.«
»Das denken Sie nicht wirklich«, widersprach Megan. »Also sagen Sie es auch nicht.«
Renata sah sie erstaunt an. »Sie sagen mir, was ich tun soll?«
»Ja.« Megan lehnte sich zurück und begegnete ihrem Blick. »Ich finde, es ist Zeit, dass das jemand tut. Sie mögen Expertin im Töten und im Kampf bestens ausgebildet sein, dennoch sind Sie kriminell eigensinnig.«
»Was?«
»Sie haben mich schon verstanden. Wir versuchen, Ihnen zu helfen, und Sie hören nur auf uns, wenn es Ihnen in den Kram passt. Ich hab das satt. Ja, ich habe Mitleid mit Ihnen, aber …«
»Ich will Ihr Mitleid nicht.« Sie funkelte Megan an. »Ich brauche niemanden, der …«
»Seien Sie still. Mir ist egal, was Sie wollen. Harley hat recht; Ihnen sind offenbar ein paar wichtige Erfahrungen entgangen, die Sie menschlicher gemacht hätten. Sie sind intelligent, scharfsichtig und zielstrebig, aber, verdammt, es gibt mehr im Leben. Sie haben mich verteidigt, weil Sie dachten, meine Milde Ihnen gegenüber hinge mit meiner sogenannten Begabung zusammen, oder? Das ist Unsinn. Ich glaube nicht, dass Ihre Chronik meinen Charakter diktieren oder erklären kann. Meine Gefühle sind in der Seele, mit der ich geboren wurde, begründet und wurden von den Menschen, mit denen ich zusammengelebt habe, geformt. Von meiner Mutter, von Phillip …« Sie hielt inne und atmete tief durch. »Selbst von Ihnen, Renata. Sie sind ständig in Abwehrhaltung – mir tut es weh, auch nur daran zu denken. Wenn ich mich also entscheide, mit Ihnen zu fühlen, dann müssen Sie das akzeptieren. Verstanden?«
Einen Moment lang schwieg Renata, dann sagte sie: »Verstanden.« Und langsam machte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breit. »Eigentlich doch nicht. Ich habe nie zuvor jemanden wie Sie kennengelernt.«
Megan schüttelte den Kopf. »Ist das alles, was ich aus Ihnen herausbekomme?«
»Haben Sie erwartet, dass ich in Ihre Arme sinke und meine Seele entblöße?«
Nicht eine so harte Nuss wie du, dachte Megan resigniert. »Ein paar offene, ehrliche Worte wären schön.«
Renata dachte nach.
Weitere Kostenlose Bücher