Panther
erstarrte.
Auf einem Schaukelstuhl saß eine Ratte und starrte Dr. Dressler an. Keine kleine weiße Ratte, sondern eine kräftige braune. Die zu einem höhnischen Grinsen geöffnete Schnauze entblößte lange gelbe Schneidezähne.
Dr. Dressler hatte keine Schwäche für Nagetiere, weder für große noch für kleine. Sie fraßen Abfälle, übertrugen schreckliche Krankheiten und hausten auf Dachböden, wo sie Horden von schmutzigen Nagetierbabys hervorbrachten.
»Hau ab!«, sagte er und klatschte in die Hände. »Weg da!«
Doch zu seinem Ärger rührte sich die Ratte nicht.
Vielleicht hat sie Tollwut, dachte Dr. Dressler ängstlich. Vielleicht macht sie gleich einen Satz und springt mir an die Gurgel!
»Kusch! Hau ab!«, brüllte er.
Die Ratte zuckte nicht, sie zwinkerte nicht einmal. Dr. Dressler fand das sehr verdächtig.
Dann hatte er eine Idee. Er zog seinen Autoschlüssel aus der Tasche und warf damit nach der Ratte. Er traf das Tier am Kopf, und es stürzte vom Schaukelstuhl auf die Holzdielen der Veranda, wo es liegen blieb, reglos und steif wie ein Brett.
»Das soll wohl ein Witz sein«, murmelte Dr. Dressler. Diese Ratte war gar nicht lebendig, sie war ausgestopft wie ein Reh oder eine Forelle an der Trophäenwand eines Jägers oder Anglers. Als der Schulleiter sie am Schwanz hochhob, sah er, dass sie etwas um den Hals trug: ein winziges Lederhalsband mit einem Namensschildchen aus Messing. Dr. Dressler entzifferte den eingravierten Namen: CHELSEA EVERED.
Dem Schulleiter lief es kalt den Rücken hinunter. Chelsea Evered hatte vor einigen Jahren die Truman School besucht – eine Einserschülerin, die Mitglied sowohl im Schwimmteam als auch in der Tennismannschaft war und vorzeitig ins Rollins College aufgenommen wurde. Doch Dr. Dressler erinnerte sich noch an etwas anderes im Zusammenhang mit dieser Schülerin: Sie hatte irgendwann darum gebeten, aus Mrs. Starks Bio-Leistungskurs in einen anderen Kurs wechseln zu dürfen, was auch genehmigt worden war.
Wenn Dr. Dressler den Namen der Ratte richtig deutete, so hatte Mrs. Stark Chelsea Evered das nie verziehen.
Vorsichtig stellte er das ausgestopfte Nagetier zurück auf den Schaukelstuhl. Als seine Nerven sich wieder etwas beruhigt hatten, klopfte er an die Tür. Zu seiner großen Erleichterung kam keine Antwort. Eilig lief er die Stufen hinunter, dann drehte er sich noch einmal um und warf einen Blick auf das düstere, leblose Haus. Er fragte sich, ob Leiter anderer Privatschulen jemals mit so sonderbaren Lehrern wie Bunny Stark zu tun hatten.
Eine lange gestreifte Schlange schoss über den Weg, und Dr. Dressler rannte los. Verschwitzt und außer Atem erreichte er endlich sein Auto. Er sprang hinein und verriegelte die Türen.
In diesem Moment bemerkte er etwas an dem Briefkasten, der zum Haus von Mrs. Stark gehörte. Etwas, das ihm zuvor nicht aufgefallen war.
Die kleine rote Flagge war gehisst.
Das hieß, dass Post im Kasten lag, die der Briefträger mitnehmen sollte. Was wiederum hieß, dass Mrs. Stark tatsächlich aus den Schwarzrankensümpfen herausgefunden hatte … dass sie lebte und gesund war. Und das wiederum war eine gute Neuigkeit – die allerbeste sogar!
Nur warum, so fragte sich Dr. Dressler, reagierte sie dann nicht auf seine zahllosen Nachrichten auf ihrem Handy? Warum ging sie nicht ans Telefon?
Der Schulleiter entriegelte sein Auto und stieg vorsichtig wieder aus. Nachdem er sich nach allen Seiten umgeschaut hatte, um sicherzugehen, dass er allein war, öffnete er Mrs. Starks Briefkasten.
Ein einziger Brief lag darin. Erschrocken erkannte Dr. Dressler seinen eigenen Namen auf dem Umschlag, über der Adresse der Truman School.
Er wusste, dass er eigentlich zu warten hatte, bis die Post ihm den Brief ordnungsgemäß zustellte, doch seine Neugier gewann die Oberhand, und so zog er den Umschlag aus dem Kasten. Dann beeilte er sich wegzukommen, um nicht noch dem Briefträger zu begegnen und erklären zu müssen, wieso er den Brief an sich genommen hatte. Erst als er ungestört in seinem Büro saß, öffnete er das Schreiben und fing an zu lesen:
Sehr geehrter Dr. Dressler,
aufgrund einer plötzlichen familiären Notlage muss ich Sie zu meinem großen Bedauern ersuchen, mich auf ungewisse Zeit von meinem Dienst an der Truman School zu beurlauben.
Es tut mir sehr leid wegen der Unannehmlichkeiten, die dies für Schüler und Lehrkräfte mit sich bringen mag. Seien Sie versichert, dass ich meine
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