Paradies Pollensa
frei. Durch einen merkwürdigen Zufall tauchte Monsieur Hercule Poirot auf, und ich lud ihn ein, uns bei unserer Feier Gesellschaft zu leisten. Sie können nicht ahnen, welch günstiger Zufall das war. Dieser leere Platz heute Abend steht nämlich für eine Dame – für die Dame, zu deren Erinnerung wir dieses Fest begehen. Diese Feier, meine Damen und Herren, findet in Erinnerung an meine verehrte Frau Iris statt, die genau heute vor vier Jahren starb!«
Bestürzung zeigte sich in der Runde.
Russells Gesicht blieb unbewegt. Er schwenkte sein Glas. »Ich möchte Sie bitten, mit mir auf die Tote zu trinken. Auf Iris!«
»Iris?« fragte Poirot verblüfft. Er sah zu den Blumen. Russell fing seinen Blick auf und nickte leicht. Ein leises Murmeln erhob sich am Tisch. »Iris – Iris…«
Alle sahen erschrocken und betreten aus.
Barton Russell sprach in seinem langsamen, monotonen amerikanischen Tonfall weiter, und jedes Wort klang gewichtig.
»Es mag Ihnen seltsam erscheinen, dass ich einen Todestag auf diese Weise begehe – mit einem festlichen Essen in einem eleganten Restaurant. Doch ich habe einen Grund dafür – jawohl, einen Grund! Im Interesse von Monsieur Poirot möchte ich es näher erklären.«
Er wandte sich Poirot zu.
»Heute Abend vor vier Jahren, Monsieur Poirot, fand in New York ein Abendessen statt. Anwesend waren meine Frau und ich, Mr Stephen Carter, der bei der Botschaft in Washington Dienst tat, Mr Anthony Chapell, der in unserem Haus einige Wochen zu Gast war, und Señora Valdez, die damals mit ihrer Tanzkunst New York bezauberte. Die kleine Pauline hier…«, er tätschelte ihr die Schulter, »war erst sechzehn, aber sie durfte als besondere Überraschung mitkommen. Erinnerst du dich noch, Pauline?«
»Ich erinnere mich – ja.« Paulines Stimme bebte ein wenig.
»Monsieur Poirot, an jenem Abend ereignete sich eine Tragödie. Es ertönte ein Trommelwirbel, und das Kabarett begann. Die Lichter erloschen – bis auf einen Scheinwerfer mitten auf der Tanzfläche… Als sie wieder angingen, Monsieur Poirot, entdeckte man, dass meine Frau über dem Tisch zusammengesunken war. Sie war tot – wirklich tot! Man fand Zyankali im Weinrest ihres Glases und in einem Briefchen in ihrer Handtasche.«
»Sie beging Selbstmord?«, erkundigte sich Poirot.
»Das war die offizielle Version… Es brach mir das Herz, Monsieur Poirot. Vielleicht gab es einen Grund für diese Tat – die Polizei glaubte es jedenfalls. Ich musste mich ihrem Urteil fügen.«
Er schlug plötzlich mit der Faust auf dem Tisch.
»Aber ich war nicht überzeugt… Nein, vier Jahre lang habe ich nachgedacht, gebrütet – und ich bin immer noch nicht überzeugt! Ich glaube nicht, dass Iris sich tötete. Ich glaube, Monsieur Poirot, dass sie ermordet wurde – und zwar von einem meiner Gäste hier am Tisch!«
»Hören Sie mal, Sir…« Tony Chapell sprang halb vom Stuhl auf.
»Seien Sie still, Tony!«, unterbrach ihn Russell. »Ich bin noch nicht fertig. Einer von Ihnen hat es getan – da bin ich mir inzwischen sicher. Im Schutz der Dunkelheit ließ jemand das halbgeleerte Briefchen mit Zyankali in ihre Handtasche gleiten. Ich glaube, ich weiß, wer von den Anwesenden es war. Ich glaube, ich kenne die Wahrheit…«
Lola fuhr mit scharfer Stimme dazwischen. »Sie sind verrückt – wahnsinnig! Wer hätte ihr etwas antun wollen? Nein, Sie sind verrückt. Ich bleibe hier nicht länger…« Sie brach ab. Ein Trommelwirbel setzte ein.
»Die Show beginnt«, erklärte Russell. »Anschließend reden wir weiter. Bleiben Sie bitte sitzen, alle. Ich muss kurz weg und mit der Tanzkapelle sprechen. Ich habe ein kleines Arrangement mit den Leuten getroffen.« Er stand auf und verließ den Tisch.
»Sonderbare Geschichte«, bemerkte Carter. »Der Mann ist übergeschnappt.«
»Ja, er ist wahnsinnig!«, rief Lola.
Das Licht wurde schwächer.
»Am liebsten würde ich abhauen«, sagte Tony.
»Nein!« widersprach Pauline in scharfem Ton. Dann murmelte sie: »O mein Gott – o mein Gott…«
»Was ist, Mademoiselle?«, fragte Poirot leise.
Ihre Antwort war fast nur noch ein Flüstern. »Es ist entsetzlich… Genau wie an dem Abend damals…«
»Ein kleines Trostwort in Ihr Ohr.« Poirot beugte sich vor und tätschelte ihr die Schulter. »Alles wird gut gehen«, versicherte er.
»Du meine Güte, hören Sie doch!«, rief Lola aufgeregt.
»Pst! Pst!« kam es vom Nachbartisch.
»Was ist, Señora?«
» Es ist dieselbe Melodie – genau das
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