Parallelum - Der dunkle Beobachter (German Edition)
fliegen könntest wie Supergirl!«, sagt er dann enthusiastisch. Wenn es um seine Comic-Helden geht, wird er zum jugendlichen Nerd von früher. Wir müssen beide lachen.
»Was ist denn so lustig?«, fragt Marco, der gerade ins Zimmer tritt, als wüsste er das nicht.
Er hat auch besondere Fähigkeiten. Sie sind jedoch nur begrenzt. Marco als mein Begleiter kann sie nur auf mich ausüben. Er hört alles, was ich höre und sage, egal, wie weit weg er ist. Den Ruf können nur wir zwei gegenseitig einsetzen, um den anderen zu finden. Die Bindung zwischen Begleiter und Wächter ist laut Marco besonders und einzigartig. Ich finde es etwas unangenehm, dass er wirklich jedes Wort, das ich sage, hören kann. Angeblich könne er es ausblenden, wenn er wolle, und mir beibringen, wie ich dasselbe tun könne. Bis dahin werde ich jedoch keine rein privaten Gespräche mehr führen können.
»Wir spekulieren nur, welche Gabe Riccardi als Nächstes erhalten wird. Weißt du, welche es sein könnte?«, fragt Francesco, doch Marco hebt nur die Schultern.
»Es gib viele verschiedene Gaben. Ein Begleiter fühlt nur, dass eine weitere Gabe kommen wird, weiß aber nicht, um welche es sich handelt«, antwortet Marco. »Doch soweit ich weiß, konnte noch kein Wächter mit Tieren sprechen«, fügt er noch spöttisch hinzu und verkneift sich ein Lachen.
»Und was ist mit dem Fliegen? Gab es schon mal einen fliegenden Wächter?«, fragt Francesco erwartungsvoll.
Marco überlegt kurz, dann nickt er. »Ja, ich glaube, schon. Das ist aber eher eine seltene Gabe. Aber bei Eva kann man das nicht ausschließen, schließlich hat sie auch die seltene Gabe der Selbstheilung erhalten.«
»Also könnte ich demnächst einfach davonschweben?«, frage ich etwas verängstigt.
»Ja, das könnte sein«, antwortet Marco beschwichtigend, als wäre es das Normalste der Welt.
»Na toll …«, beklage ich mich, doch Francesco scheint da anderer Meinung zu sein.
»Ist das cool!«, bemerkt er nur vollkommen begeistert.
»Eva, du solltest dich jetzt wirklich ausruhen. Morgen wird ein harter Tag. Da wird dir das Training der letzten Tage, um den Ruf in den Griff zu bekommen, wie ein Kinderspiel vorkommen«, mahnt Marco.
»Das ist dann wohl mein Stichwort. Ich gehe, muss morgen auch früh raus. Viel Spaß morgen!«, verabschiedet sich Francesco und klopft mir freundschaftlich auf die Schulter.
Die Nacht ist sehr lang. Wieder kriege ich kein Auge zu. Ich habe seit über einer Woche nicht geschlafen und fühle mich ausgelaugt. Anfangs hatte ich noch viel Kraft, doch seitdem ich die Gaben erhalte, fällt es mir jeden Tag schwerer, ohne Schlaf auszukommen. Als die ersten Sonnenstrahlen das Zimmer erhellen, stehe ich auf und gehe ins Wohnzimmer. Zu meiner Verwunderung liegt Marco nicht auf der Couch. Ich sehe in der Küche nach, doch dort ist er auch nicht. Das ist der perfekte Zeitpunkt, um den Ruf zu testen. Ich schließe meine Augen. Um Marco zu lokalisieren, muss ich alles andere ausblenden und mich nur auf ihn konzentrieren. Ruckartig blitzen Bilder vor den Augen auf. Ich sehe viele Häuser von oben, die Sonne und schließlich Marco. Sofort öffne ich die Augen. Er ist auf dem Dach. Ich ziehe mir schnell meine Turnschuhe an und verlasse die Wohnung. Die Dachtür steht offen. Ich durchschreite sie und sehe Marco, der am Rand steht und den Sonnenaufgang betrachtet.
»Das klappt ja schon ganz gut mit dem Ruf«, findet Marco.
Ich stelle mich neben ihn und blicke mit ihm in dieselbe Richtung. »Ja, ich lerne sehr schnell.«
»Du hast ja auch den besten Lehrer«, lobt er sich selbst und lächelt.
»Warum stehst du hier oben auf dem Dach?«
»Ich mag es, den Sonnenaufgang zu sehen, wie die Stadt langsam zum Leben erwacht …«, antwortet er etwas in Gedanken. Der Himmel erstrahlt in einem wunderschönen, kräftigen Rot, das die Dunkelheit vertreibt.
»Bist du bereit für das Training?«, fragt Marco dann.
»Klar, ich bin topfit«, lüge ich. In Wirklichkeit würde ich am liebsten ein Schaumbad nehmen und eine ganzen Woche durchschlafen, doch es ist wichtig, die Gaben in den Griff zu bekommen, bevor ich eine weitere erhalte, die ich nicht handhaben kann.
»Na dann, lass uns anfangen!«, ermuntert er mich und geht wieder in Richtung Wohnung.
Ich folge ihm, doch auf der Treppe wird mir schwindelig. So verpasse ich eine Stufe und rutsche aus. Kurz bevor ich auf die Stufen stürze, spüre ich Marcos Hände an meiner Taille. Er fängt mich auf, ich stütze
Weitere Kostenlose Bücher