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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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Stolz der Männer zerbröckelte, ihre Ehre wurde auf eine harte Probe gestellt, ihr Machtbereich beschnitten. Sie hatten Heimweh, doch nicht nach Moreas roter Erde, sondern nach der Stellung, die ihnen dort zuteil gewesen war.
    Anfangs hatten sie Trost gesucht und gefunden bei den Frauen aus dem Ostteil der Stadt. Mollige, lockige und brillentragende Nachbarinnen mit ausladendem Hinterteil und überwältigender Selbständigkeit. Frauen mittleren Alters, die entweder geschieden oder Witwen waren oder sich für eine selbstbestimmte Existenz entschieden hatten. Manche von ihnen waren einsam, die Hände zitterten und der Atem roch nach Schnaps, die Münder schienen für das stündliche Schnapsglas stets gespitzt zu sein. Unbeholfener Sex, Unverständnis auf beiden Seiten. Das Leben der Frauen wurde allmählich so schäbig wie die Gegend, in der sie wohnten. Die Pflanzenbottiche, die angeblich aufgestellt worden waren, um
    »alles zu verschönern«, wurden zuerst vom Trübsinn erfaßt, die duftlosen Rosen ließen die Köpfe hängen wie Maultiere.
    Die vielbenutzten Bänke sackten durch, und die Langeweile kratzte ihre Zeichen und Buchstaben hinein.
    »Hey, hör zu, ich sag’s dir nur einmal…« So begannen die meisten Sätze dieser Frauen. Mit Recht. Denn sie konnten nur ein bestimmtes Maß an kulturellen Unterschieden und Widrigkeiten ertragen. Die bemerkenswerteste war Marijken, mit Lockenwicklern, Bademantel und Armen aus Teig. Sie hatte in aller Öffentlichkeit mit dem Teppichhändler geflirtet, ein unschuldiger Flirt mit einem Clown, der ein verrottetes Gebiß voller Löcher hatte, groß wie im Kerngehäuse von Äpfeln. »Du könntest dir mal die Zähne putzen«, sagte sie zu ihm, doch der Teppichhändler vermutete sofort eine Zweideutigkeit dahinter. Auch ihr Name gefiel ihm, er war leicht zu merken, denn er klang wie Karima, ein moreanischer Name. Aus diesem Grund nannte er sie auch Marika.
    »Vielleicht du pusten«, antwortete er, als er auf der Straße stand, unter dem Arm einen Teppich und einen Fuß bereits Richtung Teehaus gerichtet. Er sagte es tatsächlich: pusten, er sagte auch immer Tefelon oder Pozilei Sie fand Spaß an diesem vierschrötigen Mann und nahm ihn mit in ihre Stammkneipe, wo er den Alkohol zurückwies und statt dessen Limonade schlürfte. Die Gäste umdrängten ihn, klopften ihm auf die Schulter. Es wurde laut gelacht, und auch er lachte und nickte, obwohl er so gut wie nichts verstand.
    »Weit von Hause«, wiederholte er immer wieder. Er hielt diese Wendung für äußerst passend, um damit gleichzeitig das Gefühl des Fremdseins, das Heimweh und das ewige Verlangen nach Liebe auszudrücken. Er betrachtete die kleinen dicken Teppiche, die in vielen hiesigen Kneipen auf den Tischen lagen, und roch den Duft schalen Biers. Er lauschte dem Krach, schüttelte den Kopf über ein Volk, das sich mit solch kehligen Lauten verständigte, und wunderte sich, daß man in dieser Sprache überhaupt Witze machen konnte. Ein hoffnungslos verlorenes Volk, soviel war ihm klar.
    »Hör nicht auf die«, sagte sie und drückte seine Hand, »die wollen dich nur ärgern.« Ihre Augen mit den durchsichtigen Wimpern, rosafarbenen Augenlidern und grauen Iriden blickten glasig und leutselig. »Ist dir nicht warm in deinem dicken Schlabberkleid?«
    Unter dem Tisch ließ er die Finger über ihre Knie wandern.
    Er fragte sich, wie viele Gläser mit dieser sirupartigen Flüssigkeit sie noch brauche, bevor er endlich zum Zuge kommen könne. Sie schlug seine Hand weg: »Hey, mach mal halblang, so läuft das bei uns nicht!«
    Als sie endlich – die Dämmerung hatte sich auf die Straße gelegt wie alte Mülltüten – die Kneipe verließen, ging er einfach mit ihr. Vor ihrer Wohnung suchte sie in der Handtasche nach dem Schlüssel, und nachdem sie ihn endlich gefunden hatte, streckte sie ihm die Hand zum Gruß hin. Voll Entsetzen starrte sie darauf, als machte sie ihm damit ein unmoralisches Angebot. Er hatte doch wohl nicht umsonst so geduldig neben ihr ausgeharrt und zehn Gläser Limonade hinuntergewürgt? Mit sanftem Lächeln wedelte er die Hand weg und kniff sie in den Hintern. »Das läßt du mal schön!« rief sie und stieß seine Hand zurück. »Ich habe den Männern endgültig abgeschworen. Mit mir kein Walzertanzen mehr.«
    Im Dunkeln erschien sie noch fülliger und war deshalb noch begehrenswerter. Ihr violetter Rock spannte um die Hüften, der schlaffgewordene Kragen ihrer gelben kurzärmligen Bluse entblößte

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