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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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weil sie als Frau nicht so war, wie eine Frau seiner Meinung nach zu sein hatte. Mamette beruhigte ihn, daß ihre beiden unterschiedlichen Heimatländer nie ein Problem sein werden, weil sie ihn und seine Kultur nämlich durch und durch verstehe. Die unüberwindbare Schwierigkeit ihrer Beziehung aber lag gar nicht im Kulturellen, sondern im Sexuellen, und zwar im weitesten Sinn des Wortes. Seine sexuelle Identität war daran schuld. Durch sie konnte er niemals zu einem Teil ihrer Welt werden, genausowenig wie sie zu einem Teil der seinen, trotz ihrer wahnsinnigen Visionen und paranormalen Wahrnehmungen. Denn eines wollte er gewiß nicht tun, etwas, das unweigerlich geschehen würde, gehorchte er ihren Wünschen und Launen, ließe er sich mitreißen von ihrer Liebe: Er müßte, und schon das Eingeständnis dieser Pflicht wollte er nicht leisten, er müßte eine mentale Grenze überschreiten.
    Doch die allergrößte Demütigung bestünde darin, daß er erkennen müßte, wie sehr er noch immer, trotz seiner Auswanderung, hinter demselben Stacheldraht gefangen saß, und es auch immer bleiben würde. Das war ihm das Ganze nicht wert. Er war überzeugt, daß dieser Schritt ihn psychisch vernichten würde, wenn man davon absah, daß ihm kein stichhaltiger Grund dafür einfiel, die Sache auf sich zu nehmen. Mit anderen Worten: Eine Niederlage auf der ganzen Linie wäre die Folge, und allein der Gedanke daran erfüllte ihn schon mit Widerwillen. Also beschloß er, die Besuche bei ihr aufzugeben. Jeden Tag, wenn er mit dem Apfelverkäufer und dem inzwischen verstorbenen Eseltreiber zur Arbeit ging, beklagte er sich über sie.
    »Die Frauen hier«, sagte der Teppichhändler und erhob sich ächzend, »reden einfach zuviel. Überall auf der Straße hört man sie plappern.«
    Auch die beiden neuangekommenen Frauen aus Morea hatten diese Gewohnheit angenommen, wie er zu seinem großen Erschrecken mit eigenen Augen gesehen hatte. Sofort brach er zu seiner Marijken auf, um sie das Schweigen zu lehren.
    Der Park war eigentlich nicht verboten für die Männer vom Teehaus, es war nur so, daß die schamlosen Szenen dort sie mit Ekel und Abscheu erfüllten. Der Karrenlenker hatte damit weniger Probleme, er freute sich an der wunderbaren Jugend und Schönheit dort; und das Grün hatte dieselbe Wirkung auf die Augen wie ein Glas Pfefferminztee auf durstige Adern. Der Verkehr toste an ihm vorbei, angenehm tickten seine Gedanken in seiner unvollständigen Taubheit wie eine antike, in Watte gehüllte Uhr. Mit verlangendem Blick betrachtete er die vorbeifahrenden Fahrzeugtypen und Automarken – oh! ein Mercedes! Er mußte nur noch seine Einkünfte regeln, dann wollte er sich auch ein Auto anschaffen, und wer weiß, vielleicht sogar einen BMW. Irgendwo krächzte eine Krähe, eine Schwalbe schoß über ihn hinweg. Vielleicht könnte er ja wieder in seinem alten Beruf als Vogelscheuche arbeiten, doch dafür bestand sicher kein Bedarf. Und als Karrenlenker konnte er hier wohl auch schlecht Arbeit finden. Das machte ihm das Herz schwer; so viele verschiedene Fahrzeuge hier, und kein einziger Karren darunter, höchstens mal eine Kutsche als Touristenattraktion oder für Hochzeitsfeierlichkeiten. Dabei war es ein ehrenvoller Beruf, den man nicht unterschätzen sollte. Aber warum überhaupt arbeiten, wie der Teppichhändler sagte, wenn man hier Geld kriegen konnte, ohne einen Finger krumm zu machen. Darauf wußte der Karrenlenker keine Antwort. Er solle auf dieses Amt gehen, das von allen nur das »Leihhaus« genannt werde, und eine Krankheit markieren oder einen unmöglichen Beruf angeben.
    So wie den der Vogelscheuche, der sei perfekt. Dann werde er das Amt mit vollem Geldbeutel verlassen und das jeden Monat! Himmel, o Himmel, wie reich war doch dieses Paravion.
    »Pitte!« rief der Karrenlenker, genau so, wie es der Teppichhändler ihm vorgesagt hatte – welcher übrigens gerade das schwankende Bett und das einsame Herz der betrunkenen Marijken malträtierte.
    »Gesundheit!« sagte der unerschütterliche Beamte und übergab dem Karrenlenker ein Formular voller Zeichen und Buchstaben, die für ihn so unverständlich waren wie die Zeichen auf Mamettes Zimmerdecke für den Lehrer. Der Beamte deutete mit einem Kugelschreiber auf das Blatt, und er machte sein Kreuz. Als der Beamte aufstand und ging, blieb er in der Meinung sitzen, der Mann machte sich in den Schatzkammern des Gebäudes auf die Suche nach einem Geldbeutel. Doch der Karrenlenker ging mit

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