Paravion
sie sagte, ihre Wohnung war besessen. Und verließ sie tatsächlich einmal die Wohnung, dann nur, um ihren Drogenvorrat aufzustocken.
Sie fand es komisch (»Was?!«), daß er, wo er doch aus dem Land des Cannabis kam, noch niemals Cannabis geraucht hatte und daß er sich auch jetzt noch weigerte, es gemeinsam mit ihr zu tun. Schnell hatte sie eine Erklärung dafür parat: Er sei ja schon von Natur aus berauscht, das läge am Klima und an seiner Heimaterde. Er brauche keine Hilfsmittel. So ähnlich.
Ja, ja, sie könne es an seinen Augen sehen, an seinem Herzklopfen spüren. Ihre Pupillen waren erweitert, und sie hielt sein Gesicht mit ihren Händen umfaßt. Dann öffnete sie den Mund und küßte ihn, ihre Zunge leckte an seinem Gaumen, und ganz langsam floß süß ihr Speichel in seinen Mund. »Mein Prinz, mein Prinz«, murmelte sie, ohne seine Lippen freizugeben, was die Erregung nur noch steigerte. Sie streichelte seine Haut und betrachtete danach ihre Fingerspitzen, als wollte sie prüfen, ob goldbraunes Pulver daran haften blieb. Sie roch an ihm, zerwühlte ihm das Haar und sog seinen Atem tief in sich ein. Der arme Mann zerfloß Tropfen für Tropfen, aber sie war fest entschlossen: heute keine Penetration. Sie stieß ihn weg, stand auf, er solle sitzenbleiben. Sie wolle ihm einen Turban umbinden, die Wimpern mit Mascara schwärzen. Im Lehrer fand sie alle orientalischen Schönheiten vereint, die sie je gesucht hatte, und möglicherweise hatte er ja tatsächlich etwas von einem imaginären Prinzen an sich, mit den weitgespreizten Adlerflügeln, seinen schweren, schwarzen Augenbrauen, mit den geschwungenen Wimpern, den lüsternen Mundwinkeln und den zierlich geformten kindlichen Lippen mit den Fältchen, die vom Rauchen kamen. Sie betete ihn an und die Welt, aus der er ihrer Ansicht nach stammte. Sie schenkte ihm einen Ring mit einem Granat, der einzige echte Edelstein inmitten ihrer falschen.
Doch er zerbrach die Magie. Das sei genug! Bis hierher und nicht weiter. Wütend rannte er davon und ließ sie laut lachend auf dem Bett zurück, sie mußte noch einen langen Weg zurücklegen, bevor ihr Rausch verflogen sein würde. Himmel o Himmel, wie eigensinnig waren doch die Frauen von Paravion! Nicht viel später beendete er das sowieso nur skizzenhafte Verhältnis zu ihr. Von allen seinen Konkubinen, die er hatte – na ja, er traf ab und zu ein paar Frauen, doch so viele, wie er seine Teehauskumpane glauben machen wollte, waren es nicht –, von allen flüchtigen und beinahe austauschbaren Konkubinen war sie ihm die liebste. Von Liebe konnte keine Rede sein, natürlich nicht, ihre Herzen sprachen nun mal verschiedene Sprachen. Und es war nicht ihr Drogenkonsum oder die daraus resultierende Unberechenbarkeit, die ihn abstießen, sondern ihre Absicht, mit ihm nach Morea zu gehen.
»Mit dir nach Morea?« fragte der Teppichhändler ungläubig, wobei er jedes Wort betonte. Alle im Teehaus verstummten.
Daß man aus Morea weg wollte, das konnten sie begreifen, doch daß da jemand hin wollte, und das auch noch freiwillig, konnten sie nicht fassen. Auf diese Idee waren sie noch nie gekommen. Was wollte man dort? Zweifellos glaubte Mamette, das Land sei ein endloser Horizont voller Karawanen mit drüber einem Himmel, einem Firmament aus flatternden Zeltplanen, wo der Sichelmond niemals voll wurde. Sie war überzeugt, daß sie sich dort zu Hause fühlen würde, ja, mehr noch, daß sie dort hingehörte.
»Nimm mich mit, bitte, nimm mich mit!« flehte sie, doch er stieß sie von sich, diese Irre! Zurückzukehren bedeutete für ihn den sicheren Tod, er würde eine Eule werden. Er versuchte, ihr klarzumachen, daß die Wirklichkeit sich von ihren Visionen und Vorurteilen gründlich unterschied, andererseits aber wußte er, daß sie dort genau fände, wonach sie suchte, und das ärgerte ihn. Ein Mann durfte einer Frau nicht alles geben, was bliebe ihm dann noch, wenn sie ihm auch das noch nähme? Er spürte, daß sein Herz bereits die Flügel für sie öffnete, und das entsetzte ihn. Echte Liebe hatte nie in seiner Absicht gelegen.
Wenn es etwas gab, was sein innerstes Wesen zerrütten konnte, dann die Liebe. Oder nein, nicht sein Wesen, sondern… sein, tja… wie soll man so was nennen… seine Identität:
Seine sorgfältig gehegte Identität würde unwiderruflich zugrunde gehen, wenn er nicht mehr der Mann sein könnte, der er bisher war und der er auch in Zukunft noch sein wollte –, und zwar aus dem einfachen Grund,
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