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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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gelangweilt darin herum. Gelangweilt deshalb, weil er bereits alle Hefte aufmerksam gelesen und mit offenem Mund wiedergelesen hatte. Sie bekam die Zeitschriften von ihrer Mutter, die gerne darüber informiert bleiben wollte, was in der Welt und in der Wissenschaft so passierte. Die Überschriften der Artikel waren ergreifend:
    »Wie ehrlich ist unsere Welt?«, »Knüpf dir deine eigene Hängematte« (diesen Artikel hatte er herausgerissen und den Männern im Teehaus vorgelesen), »Das Leben eines Immigranten« (dito), »Das verlorene Paradies von Andalusien« (die Fotos zierten die Bar Zach).
    »Daß du so was liest!« sagte sie bewundernd – er sah nämlich intelligent aus –, doch er hörte sie nicht, denn er war in die Rubrik »Erweitere deinen Wortschatz« vertieft: »16. DELTA –
    A: Insel in einem Fluß – B: Tiefliegendes Stück Land – C: Von Flußarmen umschlossenes Land«. Über seine Schulter gebeugt sagte sie: »B ist richtig, aber dann zwischen Schenkeln.«
    »Falsch«, murmelte er verärgert. Die richtigen Antworten standen eine Seite weiter.
    Die orientalischen Ortsnamen kannte sie aus den Billigausgaben persischer und arabischer Poesie. Nicht, daß sie eine Ahnung gehabt hätte, wo diese Städte lagen, doch der Klang der Namen genügte, um sie zu bezaubern. Diese Ausgaben waren immer Übersetzungen von bereits bestehenden Übersetzungen, die wiederum nur Bearbeitungen waren von Übersetzungen des Originals. Na und? Es ging ihr nur um den Geist oder, wie sie es nannte, um den »spirit«, sie suchte den »spirit« und fand ihn auch. »Hör zu«, sagte sie und las vor:
    Ich sah einen weisen Mann an einer Rose riechen. »Warum hast du dir diese Rose genommen?«
    »Die Rose schläft, und ich stehle ihre Träume. Von ihrem Duft bin ich noch ganz benommen!«
    »Ach, das finde ich sooo schön!« rief sie auf dem Bauch liegend und warf ihm über die Schulter einen Blick zu. Sie war so benebelt, daß ihr das Lesen schwerfiel, die Zeilen tanzten vor ihren Augen, die unterschiedlichen Farben verschleierten den Blick, sie kicherte und gackerte, die Buchseiten wurden wäßrig, und sie versank in Halluzinationen. »Komm« – kicher
    – »ich will an dir riechen, mein Prinz, mein Hosseloddelchen!«

    – ein lautes Gelächter; seine Hand verirrte sich in den Falten ihrer Kleider, ein verschwitzter Alptraum aus Hetze und Ungeduld, doch er fand weder Nacktheit noch Delta.
    Sie war überzeugt, daß ihre Wohnung besessen war, nicht nur vom spirit des Orients, sondern von echten Geistern oder Gespenstern. Das sehe sie am Besteckkasten: Mal seien keine Gabeln mehr da und nirgends zu finden, dann suche sie wieder die Löffel vergebens; ein anderes Mal habe sie nur Messer in der Lade, und sämtliche Gabeln und Löffel seien verschwunden. Von ihrer Unterwäsche – der benutzten wohlgemerkt – ganz zu schweigen. Es seien aber gutartige Geister, das wäre ja noch schöner. Außerdem vernahm sie seltsame Geräusche, fernes Gezwitschere – »Hör mal, hörst du das auch?« – und das Zirpen von Grillen und das Morgengeknatter von Zikaden. Sie hörte das alles nicht allein in ihren Räuschen, sondern auch während ihrer seltenen nüchternen Momente. So war sie nie einsam, sondern immer umringt von Geistern und Geräuschen. Während des Vorspiels
    – das war nicht seine starke Seite, er schaute ihr lieber dabei zu
    – streichelte sie sich selbst zur Ekstase, wonach er endlich mit seiner Rammelei anfangen konnte, bei der er ihrer Ansicht nach unaufgeforderten Beistand von Schemen und schattenhaften Lauten erhielt, o ja, ich bin hier, und ich sehe euch, sagt hallo zu meinem Prinzen, hmmm, mach weiter, undsoweiter – dieses »undsoweiter« fügte sie selbst hinzu, denn ihre unsichtbaren Genossen wußten genau, was sie zu tun hatten. Sex mit ihr war anstrengend, gleichzeitig aber auf eine seltsame, fast perverse Art befriedigend. Eine verrückte Frau bedeutet eine Irrenanstalt im Bett. Es war ein Wunder, daß sie nicht ins Zungenreden verfiel. Und wenn sie die Augen öffnete
    – ein überraschter, feuchter und ferner Blick in den grauen Iriden, mit Tigerstreifen rund um die Pupillen –, blickte sie um sich, als wäre sie gerade aus fremden Sphären gelandet, und irgendwie stimmte das ja auch. Sex war für sie eine geistige Pilgerfahrt durch Raum und Zeit und nicht der kürzeste Weg zum flüchtigen Tod wie für ihn.
    Sie verließ kaum das Haus. Warum sollte sie auch? Die ganze Welt kam ja sie besuchen, es stimmte, was

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