Parrish Plessis 01 - Nylon Angel
verletzen, wurde meist nach kurzer Zeit auf irgendeiner Müllkippe wiedergefunden – durchbohrt von einem stählernen Pfahl. Die Robokids befanden sich am unteren Ende der Hackordnung im Tert, doch selbst sie wussten, wie man sich seiner Haut erwehrte.
Ich entschied mich auf unserem Rückweg nach Shadouville für den Umweg über den Slag, weil ich wusste, dass die Zugstation von Pomme de Tuyeau im Chaos versinken würde, wenn der Transitzug ausfiel. Außerdem würde Sto in den belebten Geschäftszonen nicht für längere Zeit unerkannt bleiben.
Der Slag, Plastique und Torley hatten klare Demarkationslinien, die man sehr schnell zu beachten lernte, wenn man im Tert lebte. Ein Netzwerk aus Monorail-Bahnen hatte früher diese Teile der Stadt mit der Zugstrecke verbunden, die noch immer durch den östlichen Teil führte; doch diese Gebiete waren vollständig erneuert worden. Nun reihten sich hier entweder Wellblechhütten aneinander, oder man hatte alles dem Erdboden gleichgemacht.
Durch die beengten Lebensbedingungen und die mangelhafte Infrastruktur wimmelte es hier von Menschen wie in einem Bienenstock. Es gab zwar genügend Fußwege – auch kleinere Straßen, die groß genug für Scooter, Peds oder Robokids waren –, aber man verirrte sich in dieser Gegend schneller, als man sich versah.
Die Leute im Tert benutzten zur Orientierung Kompassimplantate. Einige ließen sich auch Stadtpläne auf ihre Retina legen. Mir selbst hatte sich nie der Sinn von Straßenkarten erschlossen. Wenn man länger in einer Gegend lebte, reichte es, die größeren Wege zu kennen, um sich zurechtzufinden. Der Rest dieses Molochs veränderte sich ohnehin ständig.
Man wollte es kaum glauben, aber im Tert fanden sich tatsächlich auch Flecken, die einem Raum zum Atmen ließen. Meist waren das die Gärten, die früher einmal ein öffentlicher Treffpunkt gewesen waren, und manchmal entdeckte man auch das verwitterte Becken eines alten Swimmingpools, der noch aus den Tagen stammte, als Australien ein Land der Hinterhöfe und Hypotheken gewesen war. Mittlerweile hatten die meisten Pools den Behausungen diverser Wichtigtuer weichen müssen.
Sto und ich erreichten den Checkpoint an der Demarkationslinie zum Slag. Der Tribut hatte sich inzwischen verdoppelt.
Topaz Mueno mochte vielleicht ein eingebildeter Haufen wabbeligen Fleischs sein, dumm war er aber auf keinen Fall. Ich konnte mir ausmalen, wie er sich freudig seine kleinen weißen Hände rieb: Durch das Embargo musste der Verkehr auf den östlichen Teil des Tert ausweichen und Muenos Gebiet passieren.
Die Zollleute im Slag waren nicht so wie die hochgezüchteten Idioten, die Pomme de Tuyeau oder Plastique kontrollierten. Sie passten sich an den Stil von Topaz Mueno an: lange Haare, ein leichter Bauchansatz, volle Lippen. Niemand machte sich über dieses Aussehen lustig. Die Männer konnten Kunststücke mit ihren Messern vollbringen, von denen selbst ich nur zu träumen wagte.
Ihr homogener Auftritt rührte von großer Eitelkeit. Irgendwo hatte ich einmal gelesen, dass sich Menschen von anderen angezogen fühlten, die ihnen physisch glichen.
Im Tert musste man ein Gespür für Menschen haben. Man musste drohenden Ärger sehen und riechen können. Ich besaß eine Sehschärfe von hundert Prozent und die besten Geruchssensoren, die man für Geld kaufen konnte; dennoch war es meine Intuition, die mich am Leben hielt.
Mit Sto an meinem Rockzipfel wollte ich kein unnötiges Risiko eingehen und bezahlte den völlig überhöhten Tribut ohne Kommentar. Ich betete nur, dass sie sich Sto nicht näher ansahen. Vielleicht hätte ich mir die Zeit nehmen und einige oberflächliche Veränderungen an seinem Aussehen vornehmen sollen.
Die Zöllner musterten Sto, als er sich bückte, um einen Metallsplitter von seinem Fuß zu fegen.
»Wer ist das Küken da bei dir?«, fragte einer von ihnen.
»Mein Freund.«
»Wo hat dein Freund seine Schuhe gelassen?«
Fast jeder im Tert trug Schuhe. Ich senkte meine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Ich habe ihn mit meiner Mutter im Bett erwischt. Dachte, ich musste ihm mal eine Lektion erteilen.«
Sie musterten Sto und mich misstrauisch. Es war schon ziemlich schwer, sich diesen Hänfling als meinen Freund vorzustellen – ich selbst hätte mir diese Lüge auch nicht abgekauft -; andererseits liefen hier im Tert noch viel schrägere Typen herum.
Ich kehrte den Zöllnern den Rücken zu, als sie unsere Daten in ihren Com eintippten. Offenbar
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