Pas de deux

Fernsehprogrammen keine Zeit hätte, mich zu langweilen. »Ich bin nicht mal dazu gekommen, den Rasen zu mähen …« Eines Abends hatte ich hinzugefügt, daß es gar nicht so leicht sei, sein Leben neu zu beginnen, und zugegeben, daß ich ein wenig in der Luft hing. Aber vielleicht würde ich mich daran gewöhnen, denn im Grunde hatte ich zu nichts Lust. »Weißt du, das Komische ist, mit den Jahren werden die Fragen immer einfacher und die Antworten immer komplizierter.« Diesmal hatte ich mit Eléonore gesprochen. Ihre Stimme zu hören brach mir ein wenig das Herz, aber ich sagte ihr, es sei ja nicht so, als wäre ich tot, und man hätte nicht immer die Wahl. Anscheinend gab Evelyne ihr ein Zeichen, mich zu grüßen.
    Bei Sonnenuntergang hörte Finn auf zu arbeiten. Dann gingen wir runter an den Strand und betrachteten eine Weile unser Werk. Ich wußte nicht, wie er darüber dachte, ich war jedenfalls baff, was da unter unseren Händen wuchs, ich empfand eine fast kindliche Freude. Das ging so weit, daß ich unsichtbare Details wahrnahm, ich spürte die Spannung der Schrauben, die Festigkeit der in den Felsen einbetonierten Pfähle, die unerschütterliche Starre des Ganzen und die Weichheit des abgeschliffenen Holzes, ich sah die Maserung, das matte Schimmern der Sonne in den Streifen, die perfekte Höhe des Geländers auf dem Treppenabsatz, der allen geometrischen Linien ringsum trotzte, sah sämtliche Stellen, an denen wir uns abgeplackt hatten, die Grimassen, das zufriedene Lächeln, die Schreie, das Gelächter, die Flüche, die wir an ihnen hinterlassen hatten. Selbst wenn Finn schon weg war, kam ich mitunter zurück und setzte mich in den Sand, um im letzten Licht des Tages den Anblick zu genießen und vielleicht noch eine halbe Zigarre und einen Bourbon mit Eis. In meinen Augen war das ein richtiges Monument. Ich hatte noch nichts Vergleichbares zustande gebracht. Bei meinen wenigen Glanzstücken in diesem Leben war ich über das Anbringen eines Regals oder die Inspektion meines Klaviers nicht hinausgekommen, aber das hier – und ohne daß mir anfangs bewußt war, was ich da anfing – war kein Kleinkram. Ich konnte es nicht mal mit einem Blick umfassen. Andächtig blieb ich davor sitzen, blinzelte mit den Augen und wäre eines Abends beinahe im Sand eingeschlafen.
    Die Einkerbungen waren fertig. Ich brauchte nur noch die Stufen einzupassen, die siebenundsiebzig Stufen, die einen in all ihrer Herrlichkeit ganz nach oben führten, ich trug Sorge dafür, ich war dabei, sie Stück für Stück herauszuputzen, Hobel, Schmirgelpapier und Leinöl, und wäre es nötig gewesen, sie mit meinem Speichel, meinen Tränen oder meinem Blut zu tränken, ich hätte es getan. Und auch Finn stachelte mich an, er sagte, das sei nicht seine erste Treppe, aber die hier, verdammt noch mal …!
    Ich telefonierte in die Stadt, um den Collins Blumen zukommen zu lassen, dann legte ich mich in die Badewanne und wartete darauf, daß es dunkel wurde. Nachdem ich vom Bad aus hundertmal an die Celtics, die Red Socks oder das »I love what you do for me, TOYOTA« geraten war, erfuhr ich doch noch einige Neuigkeiten aus der Welt, Kriege, Attentate, Hungersnöte … ein tausendjähriger Katalog des Leidens, mochte man meinen, aber das war nur die Bilanz eines einzigen Tages, und es nahm kein Ende … und irgendwann spürte man gar nichts mehr … und man prägte sich nur noch die Adresse ein, an die man einen Scheck schicken konnte … und man wußte nicht, wer angefangen hatte, was das Ganze sollte, ob man selbst unschuldig war oder nicht … und die Ruhe und der Frieden um einen herum erschienen einem kaum zu glauben und so fremd … aber man verspürte keine Scham mehr wie früher, da die Guten nicht mehr auf der einen und die Bösen nicht mehr auf der anderen Seite waren … und man wußte nicht mehr, ob man sich selbst geändert hatte oder ob es wirklich nicht möglich war, die tollwütigen Hunde zu erkennen … und diese Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Brüderlichkeit, die brannte immer noch in einem, und entweder hielt man diese Wunde offen, oder man stürzte in die Finsternis.
    Die Nacht war lau, klar und dem Ruf einer Eule freundlich gesinnt. Der Richter wohnte ein Stück tiefer, keine zehn Minuten zu Fuß, sein Grundstück erstreckte sich vom Meer bis zur Landstraße, und der Weg, der zu seinem Haus führte, war beleuchtet und durchschnitt den Wald wie flüssiges Metall. Musik war zu hören. Der Parkplatz schien voll, aber es