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Passwort: Henrietta

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Titel: Passwort: Henrietta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ava McCarthy
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ganz entschieden das Gefühl, dass sie als Nächstes an der Reihe sein könnte.
    Sie rollte sich zusammen und blies den Atem gegen die Hände, damit sie warm wurden. Ihre Glieder waren schwer wie Blei, Folge des Schlafmangels. Nach dem Anruf bei Felix hatte sie sich an den Laptop gesetzt und die Sicherheitseinrichtungen von anon.obfusc geprüft, des Remailer-Dienstes, den der Prophet benutzte. Stundenlang hatte sie alles Mögliche probiert, hatte gescannt und experimentiert, aber der Perimenter-Schutz war wasserdicht. Social Engineering kam nicht in Frage. Die Remailer-Typen waren erfahrene Software-Sicherheitsexperten und würden solchen Spielchen nicht auf den Leim gehen. Um halb sieben morgens war sie zu dem Schluss gekommen, dass Felix eine Kontaktperson beim Remailer haben musste, jemanden, der ihm die Information zugetragen hatte. Das hatte ihre Stimmung nicht unbedingt befördert. Der Remailer operierte in verschiedenen Ländern. Felix’ Maulwurf aufzuspüren würde nahezu unmöglich sein.
    Harry verkroch sich tiefer unter die Decke. Das Tageslicht schimmerte durch die Vorhänge. Sie schloss die Augen. Warum konnte der Trading-Ring nicht einfach das verdammte Geld nehmen und sie in Ruhe lassen? Sie würde es sofort zurückgeben, wenn sie dafür nur ihr altes Leben zurückbekommen würde.
    Sie riss die Augen auf, und eine Idee nahm Gestalt an. Das Geld zurückgeben. Warum nicht? Wenn der Prophet erst sein Geld hatte, würde er sie in Ruhe lassen, oder? Schließlich wusste sie ja nicht, wer er war; sie stellte für ihn keine Bedrohung dar.
    Sie fuhr hoch. Ihr Magen fühlte sich leichter an, das flaue Gefühl war verschwunden. Sie warf die Decke auf den Boden und eilte durch den kurzen Flur in ihr Arbeitszimmer. Ihr Laptop stand noch so wie in der Nacht zuvor, sie setzte sich davor und spannte die Finger.
    Es würde alles vom Tonfall der E-Mail abhängen. Es musste klingen, als hätte sie alles unter Kontrolle, als wüsste sie, was sie tat. Ihr Herz pochte, als sie die E-Mail aufsetzte. Sie brauchte mehrere Versuche, letztlich war sie nicht ganz zufrieden damit, aber es musste reichen. Ein letztes Mal las sie sie durch:
    Ich habe Ihre zwölf Millionen. Sagen Sie mir, wohin ich sie schicken soll, und Sie können sie zurückhaben. Eine Bedingung: Pfeifen Sie Ihre Schläger zurück und lassen Sie mich in Ruhe. Ich bin für Sie keine Bedrohung – schließlich würde es meinem Vater kaum helfen, wenn ich zur Polizei gehe. Und Ihnen würde es kaum helfen, wenn Sie der Polizei meinen Leichnam zukommen lassen.
    Harry Martinez
    Sie hätte es gern schlagkräftiger formuliert, aber ihre Position war nicht so stark, wie sie es gern gehabt hätte. Wenn Sie erst das Geld überreichte, hätte sie überhaupt nichts mehr in der Hand.
    Sie gab die Remailer-Adresse des Propheten ein und zögerte kurz. Dann klickte sie auf »Senden«.
    Sie lehnte sich auf ihrem Schreibtischsessel zurück und atmete tief und lange aus. Zum ersten Mal seit Tagen hatte sie das Gefühl, als hätte sie alles im Griff.
    Das Telefon klingelte. Sie ging ran. »Hallo.«
    »Hey.« Es war Dillon.
    »Hey.«
    »Alles in Ordnung?«
    »Ja, mir geht es gut.« Selbst in ihren Ohren klang sie nicht sonderlich überzeugend. Zum Teufel, wo waren ihre Verstellungskünste, wenn sie sie brauchte?
    »Klingt aber nicht so.«
    »Mach dir keine Sorgen.« Sie sah zu ihrem E-Mail-Programm. »Aber vielleicht sollte ich ein, zwei Tage freinehmen, wenn das möglich ist.«
    »Da musst du gar nicht fragen, Harry, das weißt du.« Seine Stimme klang sanft. »Vergiss die Arbeit. Imogen hat den Sheridan-Bericht weggeschickt. Sie sind zufrieden, keine Nachbesprechung, nimm dir also alle Zeit der Welt.«
    Harry war überrascht. Keine Nachbesprechung? Irgendwas rührte sich in ihrem Hinterkopf, doch sie bekam es nicht zu fassen. Etwas, das noch zu tun gewesen wäre. Der Gedanke verschwand wie eine Fliege im Sirup. Sie schüttelte den Kopf und hakte es ab.
    »Danke«, sagte sie.
    Dillon zögerte. »Meinst du, du schaffst es, heute zum Abendessen noch mal zu mir rauszukommen? Ich werde kochen.«
    Harry schloss die Augen. Plötzlich war sie wieder in der Dunkelheit, im Wirbel des Labyrinths. Ihr Mund wurde trocken.
    »Tut mir leid, blöde Frage«, sagte Dillon in das Schweigen hinein. »Ist wahrscheinlich der letzte Ort, an dem du sein möchtest.« Er hielt kurz inne. »Es ist nur, ich will nicht, dass du jetzt für immer Bammel vor meinem Haus hast, weißt du? Falls du mal wiederkommen

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