Passwort: Henrietta
gelesen«, fuhr Ian fort. »Ich sag’s nur ungern, aber Sie haben da gute Arbeit gemacht.«
»Danke. Hoffe, ich hab Ihnen damit nicht den Tag versaut.«
»Na ja, ich bin dafür nicht unbedingt mit Orden behängt worden.«
»Ich hab Sie gewarnt.«
»Ja, danke, weiß ich zu schätzen«, sagte er. »Damit habe ich wenigstens ein bisschen Zeit gewonnen, um mich abzusichern. Wie wär’s, wenn ich Sie dafür auf einen Drink einlade? Sagen wir heute Abend?«
»Tut mir leid, Ian, ich bin über beide Ohren dicht. Aber Sie könnten mir bei einer anderen Sache helfen.«
»Schießen Sie los. Ich bin für den Wochenend-Support hier und hab einen Haufen anderer Dinge zu tun. Das wäre mal ein Lichtblick an diesem Sonntag.«
Sie erzählte ihm vom verschwundenen Geld und der mysteriösen Änderung ihrer Adresse.
»Beim Drachen vom Kundensupport komm ich nicht recht weiter«, sagte sie schließlich. »Aber vielleicht könnten Sie sich mal ein wenig umsehen und herausfinden, was wirklich geschehen ist?«
»Ja, klar, kann ich machen. Geben Sie mir eine Stunde. Ich ruf zurück.«
Harry ließ das Handy auf den Beifahrersitz fallen, fast im gleichen Augenblick klingelte es. Sie sah zur Anruferanzeige. Jude Tiernan. Mit klopfendem Herzen starrte sie auf seinen Namen. Vielleicht rief er ja nur an, um zu fragen, wie es ihr ging. Oder um herauszufinden, wie viel sie wusste. Das Gerät vibrierte in ihrer Hand. Sie holte tief Luft und stopfte es ganz nach unten in ihre Tasche.
Erneut beugte sie sich über die Karte. Sie ließ sie ausgebreitet auf dem Beifahrersitz liegen und drehte den Zündschlüssel um. Die Strecke, der sie zu folgen hatte, war im Grunde eine gerade Linie, aber wenn es um ihren Orientierungssinn ging, brauchte sie immer sämtliche Hilfsmittel, die sie bekommen konnte. Die Entscheidungen, sich links oder rechts zu halten, muteten ihr stets ein wenig wie eine lange Matheaufgabe an: unmöglich im Kopf zu machen, ohne dabei das Bewusstsein zu verlieren.
Sie sah in den Rückspiegel. Sie war zwischen zwei Volvos eingeklemmt. Mit jedem anderen Wagen hätte sie damit Probleme gehabt, aber ein Mini konnte auf einem Reißnagel wenden. Sie kurbelte das Lenkrad hart nach links und fädelte in den Verkehr ein.
Dillon fragte sie oft, warum sie sich kein richtiges Auto kaufte, aber nichts war ihr ferner. Für ihn war der Besitz eines Luxuswagens Ausdruck dessen, was er im Leben erreicht hatte. Für Harry aber spielte es keine Rolle, was andere sich dabei dachten. Ein Mini war perfekt, um in der Stadt herumzugurken, solange man keine Mitfahrer oder irgendwelche Möbelstücke transportieren musste. Und außerdem machte allein sein Anblick gute Laune. Sie ließ ihren Blick über die altmodischen runden Anzeigen und Kippschalter schweifen, die an die von Flugzeugen erinnerten, und musste wieder an den Hubschrauberflug denken. Sie tätschelte das Armaturenbrett. Richtige Autos waren was für Erwachsene. Dieses Baby passte genau zu ihr.
Sie zwängte den Mini in die Leeson Street, immer auf ihre Strecke konzentriert. Zur Stoßzeit wäre es eine Fahrt von fast einer Stunde gewesen, am Sonntag allerdings waren die Straßen frei. Als sie die South Circular Road erreichte, war sie keine Viertelstunde unterwegs gewesen.
Sie verringerte das Tempo und spähte zu den Straßenschildern, bis sie die St. Mary’s Road fand. Eine schmale Sackgasse mit Wohnhäusern, die alle einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck machten. Viele der Häuser waren mit Brettern vernagelt, die Graffiti-Künstler der Gegend hatten die Spanplatten verziert.
Nummer 13 gehörte zu einem zweistöckigen Backstein-Reihenhaus, dessen Souterrain vom Bürgersteig aus durch ein mit Rost überzogenes Geländer abgetrennt war. Die blaue Tür hätte etwas Farbe vertragen, das Klingelbrett daneben wies darauf hin, dass das Haus in ein Apartmentgebäude umgewandelt worden war.
Harry hielt nach einem Parkplatz Ausschau, von dem aus man gute Sicht auf das Haus hatte. Was hier in Innenstadtnähe schwierig war; alle Plätze waren belegt. Bis auf einen. Dort stand ein schwarzes Motorrad, dessen Fahrer gerade seinen Helm im Gepäckkoffer am Heck verstaute. Harry wartete, bis er damit fertig war und sich verzogen hatte. Dann zwängte sie ihren Wagen, sauber rückwärts einparkend, neben das Motorrad. Ein weiterer Vorteil des smarten Wagens. Wenn es sein musste, konnte sie ihn auch in einer Besenkammer parken.
Aus den Tiefen ihrer Tasche meldete sich ihr Handy. Sie wühlte es
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