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Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)

Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pata Negra: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduard Freundlinger
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Ermittlungen etwas Neues ergeben hätte? Mit der Zeit war ihm deshalb immer öfters der Verdacht gekommen, dass Joana über die Vorfälle in Almuñécar besser Bescheid wusste als er selbst. Viel besser sogar! Würden sich seine Zweifel durch den Brief bestätigen? Kilian biss sich auf die Lippen. Dann holte er sein dickes Deutsch-Spanisch-Wörterbuch aus dem Wohnzimmerschrank, setzte sich an den Schreibtisch seines Heimbüros und breitete die erste Seite des Briefes, den Inmaculada ihrer Tochter geschickt hatte, vor sich aus.
    Liebe Joana ,
    Ich schreibe Dir diesen Brief mit der letzten mir verbleibenden Kraft. Ich muss Dir nicht schildern, wie es ist, seinen geliebten Ehemann zu verlieren – er war ja auch Dein Vater –, und ich muss Dir auch nichts davon erzählen, wie es ist, nichts über den Verbleib der eigenen Tochter zu wissen, sie war ja auch Deine Schwester. Meine liebe Joana, allein Du hast mir in den letzten Jahren noch die Kraft gegeben, durchzuhalten, bis dann diese Beschwerden einsetzten. Bei meiner Gesundheit habe ich Dich angelogen, um Dich nicht mit noch mehr Leid zu belasten. Dir sagte ich, es sei alles in Ordnung, aber der Arzt meinte, dass ich an …
    Kilian griff zum Wörterbuch um den Begriff cáncer de páncreas zu suchen, hielt aber inne, weil er auch so wusste, was es bedeutete:
    … Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt sei! Als ich das hörte, dachte ich nur, nun werde ich nie mehr erfahren, was mit Carmen geschehen ist. Joana, glaub mir, das war mein einziger Gedanke, während der Arzt von Metastasen, Chemotherapie und Medikamenten sprach. Ja, es ist so, und du hast dich nicht verlesen: Ich habe nur noch wenige Monate Leben in mir. Jüngere, glücklichere Menschen würden vielleicht nicht aufgeben und gegen den Krebs ankämpfen, ich aber finde keine Kraft mehr dafür …
    Kilian hielt inne und starrte auf sein Wörterbuch. Genau wie seine Mutter war auch Joanas Mutter an Krebs erkrankt. Aber warum war das bei Inmaculadas Obduktion nicht festgestellt worden? Das hätte doch in der Krankenakte auftauchen müssen. Er stand auf und ging im Kreis herum, unfähig seine Gedankengänge zu ordnen, also las er weiter.
    Du weißt, ich bin ein gläubiger Mensch und besuche regelmäßig die Kirche, um für Deinen Vater eine Kerze anzuzünden und um für die Wiederkehr Deiner Schwester Carmen zu beten. Wer hätte also gedacht, dass gerade ich gegen das fünfte Gebot verstoßen würde …
    Das fünfte Gebot? Das ist doch …?! Das kann doch nicht sein, dachte er. Natürlich wusste Kilian noch genau, wie die Zehn Gebote lauteten, obwohl er mit der katholischen Kirche seit Spanien nichts mehr am Hut hatte. Aber in der Zwischenzeit hatte sich an den Zehn Geboten wohl kaum was verändert, und das fünfte Gebot bezog sich immer noch auf das schlimmste Vergehen von allen: »Du sollst nicht töten!«
    Er setzte sich wieder an den Schreibtisch und hörte regelrecht sein Herz pochen, als er weiterlas:
    Sicher weißt Du noch Joana, wie Dein Vater Deine Schwester immer nannte, als sie noch zu klein war, um dagegen zu protestieren: »Pata Negra« hat er Carmen genannt, wegen des großen schwarzen Muttermals über ihrem linken Fußknöchel. Aber Joana, weißt Du auch, was Dein Vater dann noch sagte? »Wenn jemals einer meiner kleinen Pata Negra etwas antut, dann erschlag ich ihn mit einer Pata-Negra-Schinkenkeule, genauso wie diese Frau in dem Film von Pedro Almodóvar.«
    Kilian wusste, dass »Pata Negra« die Bezeichnung für eine luftgetrocknete Schinkenkeule von speziell dafür gezüchteten Schweinen war. Die Schweine wurden wie schon im Mittelalter hauptsächlich von Eicheln ernährt und als einfache Unterscheidung zu normalen Schinkenkeulen dienten die Hufe, die im Gegensatz zu den gewöhnlichen Schweinehufen schwarz waren. In seinem Sprachkurs hatte er allerdings auch gelernt, dass »Pata Negra« umgangssprachlich einfach nur »schwarzer Fuß« oder »schwarzes Bein« bedeuten mochte. Kilian runzelte die Stirn. War Antonio nicht mit einer solchen Schinkenkeule erschlagen worden?
    Joana, ich habe das, was Dein Vater damals sagte, nie vergessen. Ich weiß es heute noch so genau, als wäre es erst gestern gewesen: Dein Vater hielt Carmen – sie war da gerade vielleicht vier oder fünf Jahre alt – in den Armen und kitzelte sie, bis sie mit ihren Händchen um sich schlug. Plötzlich aber, als hätte er eine dunkle Vorahnung, blickte er so grimmig drein, dass ich richtig erschrak. So kannte ich Deinen Vater gar

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