Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
Welt. Wenigstens scheint sie den Mann nicht zu belästigen, dachte er und erinnerte sich an ein delikates Vorkommnis mit Maite zurück. Maite konnte schon mal ihre Freundlichkeit verlieren, wenn ein Gast sie nervte. Es war noch gar nicht so lange her, da hatte sich ein Besucher über Maite beschwert: Aufgrund einer fehlerhaften Doppelbelegung musste er mit seiner jungen Geliebten in ein anderes Zimmer ziehen. Maite behauptete, das sei nicht ihr Fehler gewesen und entschuldigte sich im Namen des Hotels. Der Gast ließ es jedoch nicht dabei bewenden und bemerkte bei seiner Abreise, dass Maite in diesem Hotel wohl die falsche Funktion innehätte. »Putzfrau«, so sagte er zu seiner Geliebten, wäre für Maite der angemessenere Job, weil man da weniger denken müsse. Er sagte dies in einer herablassenden Art und so laut, dass es die halbe Lobby mitbekam, aber Maite tat so, als hätte sie nichts gehört und blieb gelassen. Wie Carlos hinterher erfuhr, fand die Reinigungskraft im Zimmer des empfindlichen Gastes ein Herrenhemd sowie Dessous aus weißer Seide und halterlose Strümpfe, welche seine Geliebte ebenfalls in einer Schranklade vergessen hatte. Die Putzfrau gab die Wäsche am Empfang ab und Maite versprach ihr, sich um diese Angelegenheit zu kümmern. Dann schnürte sie ein Päckchen samt Begleitschreiben – »mit den besten Grüßen von der Putzfrau des ›Palace‹« – und sandte das pikante Paket an die Privatadresse des umtriebigen Mannes, wo es von der Mutter seiner drei Kinder geöffnet wurde. Das Hemd kam gut an, der restliche Inhalt jedoch weniger, was wohl nicht nur damit zusammenhing, dass der Dame die aufreizende Wäsche ihrer jungen Konkurrentin doch um einige Nummern zu klein war. Der ertappte Ehemann beschwerte sich auf das Heftigste bei ihm. Er stellte Maite umgehend zur Rede, aber sie konterte nur süffisant: »Ich tat doch nur meine Pflicht, Herr Direktor!« Und das Thema war für sie erledigt.
Trotz allem, in letzter Zeit bereitete ihm Joana deutlich mehr Sorgen als Maite. Gestern hatte sie ihren Arbeitsplatz verlassen, ohne ihm Bescheid zu geben, und heute Morgen erschien sie nur kurz an der Rezeption, führte ein Telefonat mit der Guardia Civil und war schon wieder verschwunden. Verschwunden! Ihre Mutter wurde vermisst, hatte ihm die Polizei eben mitgeteilt. Sie müssten das komplette Hotel nach ihr durchsuchen. So ein Schwachsinn! Natürlich hatte er sich gegen diese völlig überflüssige Untersuchung gewehrt, musste aber dann doch klein beigeben und schon wieder uniformierte Beamte durch sein Hotel streifen lassen, als handele es sich um eine Razzia in einem schmuddeligen Bordell. Was sollten die Gäste denken und außerdem, wohin sollte eine verwelkte Frau wie Inmaculada verschwunden sein? Sollte sie am Ende vielleicht jemand entführt haben? Wer hätte denn daran Interesse? Bei ihrer Tochter, der aufsprießenden Carmen, wäre das damals schon etwas anderes gewesen, dachte er, verwarf diesen unerlaubten Gedanken aber sofort wieder. Eigentlich ging ihm Carmens Verschwinden vor zwei Jahren nur deswegen nahe, weil dieser Umstand ihre ältere Schwester seither so sehr betrübte, dass jede Annäherung unweigerlich fehlschlagen würde. Lange schon, sogar schon vor seiner Scheidung, hatte er ein Auge auf Joana geworfen, allerdings ohne konkrete Vorstöße zu unternehmen. Und jetzt stand dieser Gigolo da am Empfang und spielte sich als Joanas Seelentröster auf. Maite schien ebenfalls von diesem Typen verzaubert zu sein, jedenfalls ignorierte sie eine weißhaarige Dänin, die hinter dem Deutschen ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat, als stünde sie vor einer öffentlichen Toilette in der Schlange. Und überhaupt: Was hatte dieser Typ hier eigentlich noch zu suchen?
Ihm fiel ein, dass Joana gestern nach dem Rabatt gefragt hatte – also ging er davon aus, dass die Rechnung inzwischen beglichen und der nervige Deutsche endlich abgereist war. Doch stattdessen stand der Typ hier ein paar Meter vor ihm und verdrehte seinen Empfangsdamen den Kopf.
Carlos wurde es zu viel. Er stopfte die »Ideal« zurück in den Zeitungsstand. Es wurde Zeit, deutlich zu machen, wer hier im »Palace« eigentlich das Sagen hatte!
Mit emporgerecktem Kinn marschierte er durch die Lobby, trat hinter die Empfangstheke, drängte Maite zur Seite und verwies sie mit offener Hand an die Kundin. Dann bedachte er die Dänin mit jenem Lächeln, das er aufzusetzen pflegte, wenn seine störrischen Töchter in der Schule
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