Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
etwas ausgefressen hatten und er sich dafür beim Lehrer halbherzig entschuldigen musste. Schließlich wandte er sich dem Deutschen zu: »Hello. My name is Carlos Aragon. I am the director of the hotel. I am for your brother very sorry«, sagte er und streckte ihm die Hand über den Tresen entgegen.
»Gracias.«
Gracias? Na bestens! Verstand der Deutsche also wenigstens seine Landessprache, und er musste sich nicht weiter mit dem verfluchten Englisch abquälen. Ob er ihn nun doch wieder zu seinen Gästen zählen dürfe, fragte er ihn auf Spanisch.
Der Deutsche schüttelte den Kopf.
Also nicht. Na gut, waren manchmal ziemlich wortkarg, diese Nordländer, das wusste er schon, aber ein Kopfschütteln reichte ihm auch. Damit war wenigstens diese Sache vom Tisch. Er schnippte mit den Fingern, als ob ihm gerade etwas eingefallen wäre, und verzog sich mit einem »Excuse me, please« hinter die Bürotür. Dort nahm er willkürlich irgendeinen Ordner aus dem Regal, um vor Belen, der zuständigen Dame für Hotelreservierungen, seine Anwesenheit zu rechtfertigen.
Kilian sah dem Direktor nach, als dieser im Büro verschwand. Er hatte kein einziges Wort verstanden, aber die Sache war anscheinend auch nicht so wichtig gewesen. Er wandte sich Maite zu und ließ sich versichern, dass es nichts gab, was er momentan für Joana tun konnte. Dennoch bat er sie, ihm auf Nummer 512 Bescheid zu geben, falls sich etwas Neues über Inmaculada ergäbe, und ging dann zu den Aufzügen. Sein Magen rumorte zwar immer noch, aber für Essen war jetzt keine Zeit. Er musste endlich Xavers Reise rekonstruieren. Und zwar vollständig.
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Z unächst sortierte er den Stapel der aufbewahrten Kreditkartenbelege in chronologischer Reihenfolge. Dann nahm er den Schreibblock des Hotels zur Hand, schaltete die Digitalkamera ein und notierte als erste Ausgabe 36 Euro in einem Fischrestaurant in Málaga. Kilian nickte, während er das Bild betrachtete. Er konnte Xavers Reise sogar visuell rekonstruieren. Der gleiche Name wie auf der Abrechnung fand sich auch auf dem ersten von insgesamt 184 Digitalfotos – in blauer Neonschrift unter einem Fischernetz an einer Altstadtfassade. Die Nacht verbrachte Xaver in einem Hotel, wo er für sein Einzelzimmer inklusive Frühstück laut Abrechnung 95 Euro bezahlte. Den folgenden Morgen blieb er den Aufnahmen gemäß noch in der Stadt: Auf dem Kameradisplay erschienen Fotos von malerischen Gassen und idyllischen Plätzen, ehe einige Aufnahmen von abstrakten Gemälden folgten, die nur aus dem Picasso-Museum in Málaga stammen konnten. Kilian hielt inne. Xaver und kunstinteressiert? Da hatte er schon die erste Facette seines Bruders entdeckt, von der er bisher noch nichts wusste. Oder galt dieses Museum einfach als Pflichtbesuch in Xavers Reiseführer? Kilian schlug die entsprechende Seite auf und fand die Öffnungszeiten mit Bleistift unterstrichen. Er entschied, dass dieser Besuch nicht von Relevanz war und blätterte durch die folgenden Bilder von Motorjachten, die so lang schienen, wie ein Fußballfeld breit war: Es konnte sich nur um Puerto Banus, den Luxushafen von Marbella handeln, wie die Kartenabrechnung für ein italienisches Restaurant belegte: 54 Euro für einen Ensalada Caprese, Linguini Vongole, Tiramisu, drei Gläser Rotwein und einen Espresso. Xaver bezahlte die Rechnung um 16.12 Uhr. Nicht gerade billig für ein Mittagessen, dachte Kilian. Er machte sich zu jeder Einzelheit der Reise seines Bruders Notizen. Sogar was sein Bruder wann und wo aß, und wie viel er dafür bezahlte, notierte er, sofern er wie in diesem Fall eine Abrechnung dazu fand. Kilian blätterte die Fotos in dem kleinen Display der Kamera weiter. Gewissenhaft studierte er jedes einzelne und zoomte Details näher heran, aber es handelte sich bisher um nichts anderes als um gewöhnliche Urlaubsfotos aus Andalusien. Er stoppte beim nächsten Bild, welches der Felsen von Gibraltar ausfüllte. Ohne selbst dort gewesen zu sein, wusste er, dass diese Enklave immer noch zu Großbritannien gehörte und dass dieser Umstand den Spaniern gar nicht passte. Für Gibraltar fand er keine Hotelabbuchung, nur einen Beleg für den Kauf einer Sonnenbrille: 129 Euro in einem Laden an der Main Street. Auch von dieser Straße gab es ein Foto, welches den Eindruck vermittelte, es wäre in einer englischen Kleinstadt aufgenommen worden. Deshalb war der Kontrast groß, als das nächste Abbild Dutzende von Surfern und Kitesurfern zeigte, die im schäumenden
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