Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
habe sie gebeten, Ihnen nichts davon zu erzählen.«
»Warum?«, fragte Anselm.
»Weil ich Ihren Frieden nicht stören wollte«, sagte sie, als habe er gefunden, was sie sich für sich wünschte. »Außerdem habe ich mich für das geschämt, was ich geschrieben habe.«
Der Pinsel fing leicht an zu schwingen. »Ich habe mich so aufgeführt, wie ich bin: eine verbitterte Frau.«
Anselm zuckte vor dieser Selbstbezichtigung zurück. »Sie waren nur ehrlich, das ist alles.«
»Ich nehme an, Sie wollen George sehen, genau wie Mrs. Glendinning«, sagte sie distanziert. »Aber ich fürchte, er ist weg. Er ist völlig verloren.«
Anselm spürte die tiefe Stille im Haus. Ihm wurde beklommen um die Brust, er hatte das Gefühl zu ertrinken. Zum ersten Mal begegnete er jemandem von der »Gegenseite« eines Prozesses, den er gewonnen hatte. Angespannt hörte er zu.
»Nach dem Prozess verlor George seine Arbeit. Er wurde wegen groben Fehlverhaltens entlassen. Nicht wegen des Fiaskos im Gericht, sondern weil er sich überhaupt mit diesen Mädchen eingelassen hatte. Er hätte Abstand halten müssen … wie ein Anwalt … aber das tat er nicht, konnte er nicht. Danach ging er kaputt, hier, zu Hause. Und dann verloren wir John. Ich weiß nicht, was passiert ist – aber George wusste es, nur konnte er es mir nicht sagen. Nein, das stimmt nicht.« Sie kämpfte, wie sie damals gekämpft hatte; mit Leib und Seele wand sie sich in ihrem großen Hemd. »George kann es nicht gewusst haben, aber er fühlte sich verantwortlich.« Sie atmete gleichmäßig, beruhigte sich. »An einem Samstagabend ging John weg. Er kam nicht wieder. Er ging zum Lawtons Kai …«
»Wo Riley gearbeitet hatte«, fügte Anselm hinzu.
Sie nickte und biss sich auf die Lippe. »Aber die Polizei konnte nichts machen. So eine Verbindung hatte natürlich schon was zu bedeuten, aber sie war einfach nicht stark genug. Tatsache bleibt, dass John getötet wurde, weil George diesem Mann die Stirn geboten hat.« Sie legte den Pinsel auf die Leiter, ging in die Hocke und schob die Hand unter ein Laken, das über einer Anrichte hing. Ohne hinzusehen, holte sie den Brief von Inspector Jennifer Cartwright heraus.
Er war lang, ausführlich und voller Mitgefühl, aber letztlich kompromisslos. Es bestünde keinerlei Aussicht auf eine Verhaftung, ganz zu schweigen von einer Verurteilung. Anselm gab Mrs. Bradshaw den Brief zurück, die wieder in die Hocke ging und die Hand unter das Laken schob. Unsicher stand sie auf, griff nach dem Pinsel und ließ sich auf einen abgedeckten Sessel sinken.
Anselm drehte sich der Magen um. Er sah die vorgestrichenen Wände. Die alten Muster waren kaum überdeckt. Draußen fing es an zu regnen, zuerst nur leicht, dann immer stärker. Die tiefen Wolken schienen das Licht aufzusaugen.
»George konnte nicht mehr länger mit sich oder mir leben«, sagte Mrs. Bradshaw, »und ich konnte nicht mehr mit ihm leben. Man kann sich nicht vorstellen, welche Wut sich zwischen einen stellt. Sie frisst alles auf. Ich machte George Vorwürfe. George machte mir Vorwürfe. Er machte mir Vorwürfe, weil ich ihm Vorwürfe machte. Das richtet die Wut an: Sie lässt einen hassen, was man früher geliebt hat. Sie findet einen Weg, auch wenn man es sich nicht vorstellen kann. Und wenn sie sich schließlich legt, ist man leer und verändert und kann nicht mehr zurück. Was bleibt, ist die falsche Art von Frieden. Aber was soll man machen? Von nichts kommt nichts.«
Anselm schaute auf sie herunter, wäre gern auf Augenhöhe mit ihr gewesen, wagte aber nicht, die Tücher durcheinanderzubringen. Sie hatten etwas von Schneebergen, die man nicht anrühren konnte, ohne dass es Vandalismus gleichgekommen wäre.
Mrs. Bradshaw legte die Hände an den Kopf, dass der Pinsel wie eine Feder hochstand. »Eines Morgens, vor fünf Jahren, kam George zum Frühstück die Treppe herunter, aber er ging aus der Haustür. Ich wusste, dass er fortging. Und ich stand nicht mal auf, um ihm nachzusehen. Genauso war es auch bei John.« Ihre Hände fielen herunter. »Ich sagte Inspector Cartwright Bescheid, dass er verschwunden war. Sie setzte die Vermisstenabteilung auf ihn an. Das ist schon sehr lange her.«
Anselm hockte sich neben sie, aber es gab nichts, was er hätte sagen können. Hier verwischte sich die Schuld aller. »Es tut mir leid« genügte nicht mehr, etwas Stärkeres war nötig. Auf einem Knie dachte er an Elizabeth, ihren Schlüssel und ihre letzten Worte: »Überlassen
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